Die Eiserne See - Brook, M: Eiserne See
Schlussfolgerungen überstürze, riskiere ich es, Informationen zu übersehen, die zu seinem Mörder führen könnten – oder auf eine falsche Fährte zu geraten. Ich will weder das eine noch das andere.«
Sein Blick glitt über ihr Gesicht. Schließlich nickte er kurz – als bräuchte sie seine Erlaubnis, um weiterzumachen. Er hatte wohl eine hohe Meinung von sich. Unglücklicherweise teilte jeder in England diese Einschätzung.
Doch abgesehen von seiner Arroganz durchschaute Mina ihn überhaupt nicht. Als sie seinem Blick begegnete, sagte sie: »Ich bin von einem Ball weggeholt worden, der teilweise zu Euren Ehren veranstaltet wird.«
Er lächelte schwach. »Ja.«
War das alles, was er zu sagen hatte? Es sagte ihr so gut wie nichts. Sie versuchte es erneut und hoffte, dass sie diesmal eine Reaktion provozieren würde. »Wolltet Ihr nicht kommen, Euer Hoheit? Oder habt Ihr womöglich keine Einladung erhalten?«
»Ich habe mehrere erhalten.«
Ein Funke von Humor blitzte in seinen Augen auf. Er war eher amüsiert als verärgert – doch sie konnte nicht genau sagen, ob über die Frage oder über sie.
Der Fahrstuhl erreichte das Erdgeschoss und hielt ruckartig. Der Herzog blickte erneut zu ihr hinunter, bevor er das Gitter öffnete. Eilig trat sie hinter ihm in den Salon und dachte laut.
»Ihr werdet in dieser Stadt sehr verehrt, auch wenn eine Leiche auf Eure Stufen fällt.« Sie drehte sich zu ihm um. »Vielleicht ist es keine Drohung, sondern jemand möchte Eure Aufmerksamkeit erregen.«
»Derjenige hätte sich etwas anderes einfallen lassen sollen.«
Keine Erheiterung mehr, nur wieder Distanziertheit. Mina blickte ihn finster an.
»Kümmert es Euch denn, dass jemand gestorben ist, Sir? Abgesehen von der möglichen Drohung gegen Euch oder dem Affront oder welches Motiv der Mörder auch immer gehabt haben könnte – kümmert es Euch, dass ein Mensch gestorben ist?«
Er blickte sie direkt an. »Ich habe keine Ahnung, ob das ein Kastilier ist, der in Amerikas Wäldern als Fallensteller unterwegs war, oder ein Hindu, der von der Horde in Indien versklavt wurde. Beweinen Sie das Schicksal eines jeden, den Sie nicht kennen?«
Sie beweinte es nicht, doch sie spürte seine Ungerechtigkeit. »Ich kenne seinen Namen nicht, aber er ist kein Fremder mehr für mich, nicht irgendeine Person, die irgendwo auf dem Globus lebte. Und das ist er auch nicht für Euch – es ist sehr wahrscheinlich, dass er hier ist, weil es irgendeine Verbindung zu Euch gibt.«
Seine Augen verengten sich, und obwohl Humor in ihnen aufblitzte, war es ein kalter und gefährlicher Schimmer. Mina unterdrückte den Impuls zurückzutreten und ihre Waffe zu zücken.
»Dann finden Sie heraus, wer er ist und warum er vor meiner Tür lag … und ich sorge dafür, dass derjenige, der meine Aufmerksamkeit erregen wollte, es bereuen wird.«
Sie hatte keinen Zweifel daran, dass er das tun würde. Und obwohl Mina gewillt war, sowohl das Geheimnis der Identität des Mannes als auch das seines Todes zu lüften, hatte sie jetzt noch mehr Grund, nicht zu scheitern.
Sie wollte nicht diejenige sein, die die Aufmerksamkeit des Herzogs erregte.
Rhys konnte sich viele Gründe vorstellen, jemanden zu töten – doch nur Furcht hielt jemanden davon ab zuzugeben, was er getan hatte. Wer auch immer diesen Leichnam auf seine Treppe gelegt hatte, war ein verdammter Feigling.
Er hatte nichts für Feiglinge übrig, vor allem nicht für solche, die sich umdrehten und davonrannten. Glaubten sie etwa, er würde sie davonkommen lassen?
Die Inspektorin war gut beraten, schnell herauszufinden, woher der Wind wehte. Er hatte nicht vorgehabt, sie in dem Todesfall ermitteln zu lassen, doch hatte Rhys ihr erlaubt, die Leiche abzutransportieren, weil er an ihren Erfolg glaubte. Verdammt, hätte sie den Leichnam nicht untersucht, wäre ihm vielleicht noch nicht einmal aufgefallen, dass er aus einem Luftschiff gefallen war.
Ein Luftschiff . Idioten . Wenn der Feigling allein – oder mit ein paar anderen – auf dem Grundstück herumgeschlichen wäre, hätte er das in aller Stille erledigt. Doch sie hatten ihn von einem Luftschiff aus behelligt … und so wäre seine Antwort entsprechend.
Sobald er wusste, wer sie waren.
Rhys ließ sich seine Wut nicht anmerken, verließ das Haus und schritt durch die Außenanlagen, bis er sich ein wenig beruhigt hatte. Beinahe eine Stunde verging, bis er zurückkehrte und Scarsdale, der bereits sturzbetrunken war, in der Bibliothek
Weitere Kostenlose Bücher