Die Eiserne See - Brook, M: Eiserne See
und von einem unglaublichen Weiß waren. So etwas Weißes hatte sie noch nie gesehen, nicht einmal bei Knochen.
Unter ihren Beinen und ihrem Hintern begann es zu vibrieren. Als sie zurückblickte, bemerkte sie, dass sich die Propeller zu drehen begannen, und spürte die Kraft des Motors, als das Luftschiff Geschwindigkeit aufnahm. Lady Corsair stand auf dem Achterdeck und setzte ihre Schutzbrille auf. Mina blickte wieder nach vorn. Der eisige Wind trieb ihr Tränen in die Augen, und das Dröhnen war geradezu ohrenbetäubend. Sie vergrub sich in ihrem Übermantel und zog den Kragen hoch – sie würde es hier draußen jedoch nicht lange aushalten. Sie würde sich ins Vorderschiff zu Newberry gesellen und sich mit dem Blick aus den Bullaugen zufriedengeben müssen.
Plötzlich baumelte vor ihr eine Fliegerbrille. Mina blickte auf. Trahaearn stand neben ihr; er trug ebenfalls eine und hatte einen braunen Wollschal mitgebracht. Dankbar nahm Mina beides an, setzte die Brille auf und schlang sich den Schal um die Ohren.
Die Holzkiste, die sie sich ausgesucht hatte, bot leider Platz für zwei – wenn auch nur knapp. Als sich Trahaearn setzte, presste er seinen harten Oberschenkel gegen sie. Er hatte den Verband entfernt und die Wunde gereinigt, weshalb er seine Haare nass und glänzend hinters Ohr gestrichen hatte und die kleinen goldenen Ringe voll zur Geltung kamen.
Sie zogen ihren Blick beinahe so magnetisch auf sich wie der Himmel. Sie wünschte, er würde sie bedecken.
Ihr Magen zog sich zusammen, als er etwas sagen wollte und sich zu ihr hinüberbeugte und sein Mund nur noch wenige Zentimeter von ihrer Wange entfernt war. Obwohl die Alternative war, gegen den Wind anzuschreien, schienen ihr eine heisere Kehle und klingelnde Ohren dieser beunruhigenden Nähe vorzuziehen zu sein.
»Baxter hat Haynes als Nachrichtenüberbringer an die Goldküste geschickt.«
Mina lehnte sich stirnrunzelnd zurück. »Wieso?«
Er winkte sie heran. »Halten Sie still. Ich erzähle Ihnen alles, was er mir gesagt hat.«
Sein Atem erhitzte die Luft zwischen ihnen, und sie wäre am liebsten wieder auf Abstand gegangen, doch es wäre schneller vorbei, wenn er ihr die Gründe des Admirals alle auf einmal übermitteln würde. Sie nickte.
»Vor sechs Monaten wurde Baxter gebeten, einen Freund – seinen Namen hat er mir nicht verraten – in Port Fallow zu treffen. Kennen Sie den Ort?«
Nur vom Hörensagen. Die berüchtigte, von Mauern umgebene Stadt war auf den Trümmern von Amsterdam errichtet worden und bot einen sicheren Hafen für jeden auf der Flucht – einschließlich vieler Krimineller und Piraten. Wen auch immer er getroffen haben mochte, er hatte wohl einen Grund, nicht nach England zu kommen, und Baxter war wahrscheinlich nicht unter Admiralsflagge in den Hafen hineingesegelt.
Sie neigte den Kopf, sodass sich ihre Wangen beinahe berührten, aber so konnte er sie besser verstehen. »Ihr wart also nicht der einzige zweifelhafte Freund, den er hatte.«
Sein überraschtes Lachen prallte von ihrer Haut ab. »Nein, war ich nicht.«
Sie hörte die Trauer in seinen Worten, als wäre sein Lachen wie ein Riss, durch den andere Gefühle aufstiegen. Mit verkrampftem Gesicht wandte sich Trahaearn von ihr ab. Kalte Luft strömte zwischen ihnen hindurch.
Doch nur einen Augenblick später hatte er den Kopf wieder zu ihr gebeugt und fuhrt fort: »Er erzählte Baxter, dass er von Jean-Pierre Colbert eine Einladung erhalten habe, an einer Auktion an der Goldküste teilzunehmen. Und der einzige Grund für eine exklusive Auktion an der Goldküste ist, dass dort nichts davon den falschen Leuten zu Ohren kommt.«
Wie den Ohren eines Admirals der Königlichen Marine , vermutete Mina. Und der Name des Franzosen kam ihr bekannt vor. »Colbert?«
»Brimstone Island«, sagte er.
Dieser Colbert? Mina schüttelte ungläubig den Kopf. Brimstone Island, das zu den Antillen gehörte, hatte noch einen anderen, offiziellen Namen. Doch seitdem der Krieg zwischen Frankreich und Liberé, während dessen ein Militärlager auf der Insel dazu benutzt worden war, Kriegsgefangene einzusperren, vorbei war, war die Insel nur noch unter dem Namen bekannt, den die Tausenden von Gefangenen ihr gegeben hatten, die dort gelitten hatten. Colbert, der opiumabhängige Lagerkommandant – und uneheliche Verwandte des französischen Monarchen – , hatte Söldner angeheuert, um die Gefangenen zu bewachen. Die Söldner hatten das Geld für Nahrungsmittel und Medizin an sich
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