Die eiskalte Jahreszeit der Liebe
die Küche und kam mit einer ungeöffneten Flasche Wodka sowie vier alten, mit Schneeflocken gravierten Schnapsgläsern zurück. Sie schenkte ein, und wir erhoben uns, um mit ihr anzustoßen.
»Auf euren Erfolg, Kinder!«, sagte Tatjana Wladimirowna und kippte den Wodka auf typisch russische, effektive Weise.
Wir drei standen ihr nicht nach. Ich spürte den Wodka hinten in der Kehle, dann im Magen, darauf die Wärme in der Brust und das schlagartig einsetzende Hochgefühl, das den Wodka zu einem solchen Fluch macht. Ich fühlte Farbe in meine Wangen steigen, den Leberschaden, die über die Zunge drängenden Indiskretionen. Ich hatte keine Schwierigkeiten mehr, danach zu fragen, wie denn der Plan aussah.
Zehn Minuten später (›Auf Russland!‹, ›Auf uns!‹, ›Auf die Königin von England!‹) fragte ich Mascha auf Englisch, ob sie mit mir aufbrechen wolle. Sie sagte nein, sie müsse noch mit Tatjana Wladimirowna reden. Ich wusste, es war unhöflich zu gehen, ehe die Flasche leer war, doch sagte ich Tatjana Wladimirowna, ich müsse leider noch zu einem Termin.
»Aber Sie haben ja fast nichts gegessen«, protestierte sie, blickte auf meinen überladenen Teller und verschränkte die Arme vor der Brust.
»Tut mir leid«, sagte ich, doch sei es mir eine große Freude gewesen, sie kennengelernt zu haben.
Ich küsste Katja und Mascha auf die Wangen. Tatjana Wladimirowna folgte mir, als ich über das Parkett zu Schuhen und Mantel ruderte.
»Auf Wiedersehen«, sagte ich. »Und noch einmal herzlichen Dank. Hoffentlich auf bald.«
»Aber Sie haben ja nichts gegessen«, wiederholte sie erneut, als sie die Tür hinter mir schloss. Ich eilte die Treppe hinunter, entfloh der drückenden, beklemmenden Kinderlosigkeit.
*
Am selben Tag, wenn auch einige Zeit später, traf ich auf dem Treppenabsatz zwischen unseren Stockwerken Oleg Nikolaewitsch in schwarzem Anzug, Hemd und schwarzem Filzhut. Er wirkte auf düstere Weise geradezu untadelig, nur ein paar vereinzelte Katzenhaare klebten am Revers. Offenbar hatte er sogar seinen Bart getrimmt, und er sah aus, als sei er auf dem Weg zu seiner eigenen Beerdigung.
»Wie geht es Ihnen, Oleg Nikolaewitsch?«, fragte ich, immer noch ein wenig beschwipst.
»Normal, Nikolai Iwanowitsch«, erwiderte er. »Wie heißt es doch auf Englisch? Keine Neuigkeiten sind gute Neuigkeiten. Ich kann bloß unseren Nachbarn Konstantin Andrejewitsch nicht finden.«
»Wie schade«, sagte ich, »tut mir leid.«
»Mein Freund Konstantin Andrejewitsch«, fuhr er fort. »Er wohnt in dem Haus hinter der Kirche und geht nicht ans Telefon.« Er glotzte mich an, als würde ich ihm jeden Moment antworten:
Ach, dieser Konstantin Andrejewitsch. Warum haben Sie das nicht gleich gesagt? Der sitzt oben in meiner Küche
.
Stattdessen versuchte ich zu lächeln und zugleich bekümmert dreinzusehen. »Bestimmt ist alles in Ordnung«, sagte ich und weiß noch, dass ich dachte, dieser Konstantin Andrejewitsch, wer immer er auch sein mochte, hatte bestimmt das Telefon ausgestöpselt oder sich eine vorübergehende Taubheit angesoffen. Trotzdem gab ich mir redlich Mühe, Oleg Nikolaewitsch ernst zu nehmen.
»Gut möglich, dass er zu seinem Bruder nach Twer gefahren ist.«
»Gut möglich«, erwiderte ich.
»Aber vielleicht«, sagte er, »können Sie mir auch helfen, ihn zu finden.«
»Das würde ich nur zu gern«, sagte ich, »allerdings bin ich mir nicht sicher, ob ich etwas für Sie tun kann.«
»Das können Sie«, antwortete er. »Sie sind doch Anwalt. Ein Amerikaner.«
»Ich bin kein Amerikaner.«
»Na ja«, beharrte er, »Sie haben eine Kreditkarte. Und eine Sekretärin. Sie können mit der Polizei reden. Oder mit dem Büro des Staatsanwalts. Ich aber bin ein alter Mann. Und das hier ist Russland.«
»Na gut«, sagte ich. »Natürlich. Wenn ich helfen kann, dann will ich es versuchen. Versprochen, Oleg Nikolaewitsch.«
Er kam auf mich zu, und einen Moment lang glaubte ich, er wolle mich umarmen oder mir einen Hieb verpassen, doch legte er bloß eine Hand auf meine linke Schulter und hielt mir den Mund so nahe ans rechte Ohr, dass, als er sprach, mir seine Zunge praktisch in den Gehörgang drang.
»Verehrter Nikolai Iwanowitsch«, sagte er, »nur ein Idiot muss immerzu grinsen.«
FÜNF
I ch schätze, rein theoretisch könnte es eine Zeit geben, zum Beispiel am frühen Nachmittag, in der es Steve Walsh länger als fünf Minuten ohne einen Schuss Kaffee oder einen Schluck Rotwein aushält – so wie es
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