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Die eiskalte Jahreszeit der Liebe

Die eiskalte Jahreszeit der Liebe

Titel: Die eiskalte Jahreszeit der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A.D. Miller
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rein theoretisch im Leben russischer Frauen um die dreißig eine kurze Phase zwischen hochhackigem Exhibitionismus und den fülligen Konturen mittleren Alters geben muss. Doch wann immer ich Steve Walsh sah, pfiff er sich das eine oder andere Rauschmittel ein. Wie den meisten expatriierten Alkoholikern half es ihm, sich einzureden, dass er keiner war: Er bestellte den Wein per Glas, auch wenn er an einem Abend zwölf oder zwanzig Gläser trank, was für sein Portemonnaie zwar schlechter, für sein Selbstwertgefühl aber besser war. Als ich ihn zum Mittagessen traf, um ihm von Mascha und mir zu erzählen, hatte er sich bereits vom Kaffee zum Wein vorgearbeitet.
    »Und?«, fragte Steve, nachdem ich ihm den aktuellen Stand unserer Beziehung zusammengefasst hatte. »Hat sie dich schon aufgefordert, ihr was zu kaufen? Diamanten? Ein Auto? Eine Busen- OP ?«
    »So läuft das bei uns nicht.«
    »Wie denn?«
    »Mit uns ist es anders, Steve.«
    »Glaubst du etwa, sie ist wegen deines Aussehens mit dir zusammen?«
    Dem Buchstaben des Gesetzes nach war Steve Brite, doch hatte er sich schon so lang und an so vielen fernen Orten redlich darum bemüht, England aus dem Weg zu gehen – ehe er nach Moskau kam, war er, wenn ich mich nicht irre, drei, vier Jahre in Mexiko gewesen, davor auf dem Balkan und davor irgendwo, woran ich mich und er sich vermutlich auch nicht mehr erinnern kann –, dass er, als ich ihn kennenlernte, zu einem jener verlorenen Auslandskorrespondenten geworden war, über die man bei Graham Greene lesen kann, ein Bürger der internationalen Republik des Zynismus. Er nutzte mich aus, zapfte mich an, um Hinweise zu bekommen, die ich ihm nicht geben sollte – Hinweise darauf, welches Kartell sich was von wem lieh, um welche Öl- oder Aluminiumfirma zu übernehmen, Gleichungen der Gier, die ihm halfen, sich auszurechnen, wer im Kreml aufstieg, wer abstieg, wer der nächste Präsident werden würde und wer auf dem Weg ins Gefangenenlanger in Magadan war. Steve tat, als prüfte er meine Angaben, dann brachte er sie in seinen Artikeln für den
Independent
und irgendeine kanadische Zeitung unter, von der seine Arbeitgeber in London nichts wussten. Ich nutzte ihn auf meine Weise aus, etwa für Gespräche in Englisch, die sich nicht um Boni drehten. Also profitierten wir beide voneinander. Mit anderen Worten: Wir waren Freunde. Ich glaube sogar, er war mein einziger wahrer Freund in Moskau.
    Sein Haar war fettig blond, und auch wenn er einmal attraktiv gewesen sein dürfte, sah er inzwischen doch ziemlich zerknittert und riojagerötet aus. Ein wenig hatte er Ähnlichkeit mit Boris Jelzin.
    »Steve«, sagte ich, »lach jetzt nicht, aber ich glaube, ich habe mich verliebt.«
    Du bist nie besonders eifersüchtig gewesen, hattest aber auch nie besonderen Grund, eifersüchtig zu sein. Also denke ich, du wirst es verkraften.
    »Verdammte Scheiße«, sagte Steve und wedelte mit seinem Glas.
    Wir aßen Bœuf Stroganoff im französischen Restaurant im hinteren Teil des Smolenski-Shoppincenters, wo die Mätressen der Minigarchen zwischen ihren Pediküren überteuerten Tee tranken. Wenn ich mich recht erinnere, war es schon fast Ende November. Gerade war der erste schwere Schnee gefallen, war über Nacht gekommen, als spielte er uns einen Streich und schuf in einer Stunde eine neue Stadt. Hässliches wurde schön, Schönes zauberhaft. Der Rote Platz verwandelte sich in eine Filmkulisse – auf der einen Seite das weißgesprenkelte Mausoleum, der schneebestäubte Kreml, auf der anderen das wie ein Rummelplatz leuchtende Warenhaus GUM . Über Bauplätze und Kirchhöfe schnüffelten Meuten optimistischer Köter durch den Schneematsch. Taxifahrer schraubten ihre Preise in die Höhe: Seit wann Ausländer in Moskau lebten, erkannte man daran, wie lang sie im Schnee standen und mit den Fahrern verhandelten. Bettelnde Babuschkas hatten ihre erpresserische Winterhaltung eingenommen, knieten auf dem Bürgersteig mit ausgestreckten Armen im eisigen Weiß. Und trotz Pelzmänteln und Gesichtsgrimassen merkte man den Russen an, dass sie, zumindest relativ, glücklich waren. Denn sieht man einmal von Fatalismus und Borschtsch ab, ist es der Schnee, der sie zu dem macht, was sie sind.
    »Sie liebt mich auch, glaube ich. Wenigstens könnte sie es. Jedenfalls mag sie mich.«
    »Hat sie das gesagt?«
    »Nein.«
    »Hör zu«, sagte er, »wenn sie es sagt, dann meint sie es ernst. Sie meint es in eben der Sekunde ernst, in der sie es sagt. Zwanzig

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