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Die eiskalte Jahreszeit der Liebe

Die eiskalte Jahreszeit der Liebe

Titel: Die eiskalte Jahreszeit der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A.D. Miller
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prospektiven Ölkäufern aus Holland und Amerika vorweisen, und die Banken hatten eine politische Risikoversicherung abgeschlossen (für den Fall eines Staatsstreichs oder einer Enteignung). Der eigentliche Kreditvertrag war also öl- und wasserdicht.
    Den Banken genügte dies allerdings nicht, um die erste Tranche Bargeld anzuweisen. Wir brauchten noch einen Bericht von Wjatscheslaw Alexandrowitsch, dem Inspektor, der bestätigte, dass das für den Terminal ausgesuchte Gelände geeignet war und die vorläufigen Baumaßnahmen nach Plan verliefen. Und diesen Bericht brauchten wir sofort, wenn die Banken das Geld – um die hundertfünfzig Millionen Dollar, wenn ich mich recht erinnere – noch vor Jahresende zahlen sollten.
    Der Kosak hätte das Geld am liebsten gestern; er sagte, er müsse Verpflichtungen gegenüber Bauarbeitern und Lieferanten nachkommen. Die Banker wollten es ihm geben, nicht zuletzt deshalb, weil ihre Boni geringer ausfielen, wenn sie bis zum kommenden Jahr warteten. Nur gab es da ein Problem. Mitte Dezember war Wjatscheslaw Alexandrowitsch endlich in die Arktis gereist – und verschwunden.
    In unserem Büro sorgten wir uns, er könne in ein Eisloch gefallen oder sich an der Hotelbar mit der falschen Dame angefreundet haben. Der Kosak meinte jedoch, es gäbe keine Löcher im Eis, und er versicherte uns, alles sei normal. Er wollte sich an Silvester mit uns in Narodnefts Moskauer Hauptquartier treffen, um letzte Dokumente zu unterzeichnen, die wir nach New York und London schicken mussten, ehe die Banken das Geld freigeben konnten. Paolo sagte zu. Er fand zwar, wir verschwendeten unsere Zeit, aber die bekämen wir ja bezahlt. Sergei Borisowitsch und ich sollten ihn begleiten.
    *
    Narodneft gleicht eher einem Staat als einer Firma. Außer Ölquellen, Pipelines und Frachttankern gehören dem Betrieb Hotels, Flugzeuge und Fußballmannschaften. Er besitzt Sanatorien im Kaukasus und eine Insel in der Karibik, ein U-Boot im Golf von Finnland und, Gerüchten zufolge, ein paar Satelliten im Weltall. Zur Firma gehören ebenso spezielle Bordelle und handzahme Attentäter. Damals hieß es, die Hälfte aller Mitglieder des russischen Parlaments stünde auf Narodnefts Gehaltsliste. Die Firma rühmte sich zudem eines bizarren Hauptquartiers in Südmoskau, erbaut in den neunziger Jahren, einer Zeit größter Exzentrik in der russischen Architektur, ein Firmensitz, der wie ein umgekehrtes Raumschiff aussieht. Paolo, Sergei und ich fuhren früh am Morgen vor, etwa um halb neun. Es war Silvester, mein letztes Silvester in Russland.
    Normalerweise kann man im Winter, wenn man aus einem Auto steigt oder ein Gebäude verlässt, mit zwanzig oder dreißig Sekunden Restwärme rechnen, ehe die innere Hitze verfliegt und man plötzlich die Kälte spürt – eine temporäre Illusion von Behaglichkeit ähnlich jener Extrazeit, in der ein geköpftes Huhn noch herumrennt, ehe es begreift, dass es längst tot ist. Bei minus siebenundzwanzig Grad wird diese Gnadenfrist nicht gewährt. Schlagartig friert die Nase zu, tränen die Augen. (Während ich in England war, hatte jemand aus dem Büro auf dem Paweletskaja-Platz einen Handschuh ausgezogen, um einen Anruf entgegenzunehmen; das Handy ist ihm an die Hand gefroren.) Wir eilten zum Wachdiensthäuschen vor dem Narodneftkomplex, um unsere Ausweise vorzuzeigen, dann an den gefrorenen Springbrunnen auf der landschaftlich gestalteten Gartenfläche vorbei ins Hauptgebäude. Narodnefts rothaarige Begrüßungsdame führte uns im grünen Minirock zum Lift und hüftwackelte zum Konferenzzimmer hoch oben nahe der Raumschiffkapsel voran. Eine Anrichte offerierte Wodka, Gläser und auf Zahnstochern aufgespießte Heringshappen, der Raum einen vom Boden bis zur Decke reichenden Blick auf die eisige Stadt. Der Himmel war so weiß wie der Schnee auf der Erde, vielleicht sogar weißer, da die Abgase nicht bis hier heraufreichten.
    Die junge Frau setzte sich auf einen der Stühle entlang der Wand und lächelte. Sergei Borisowitsch aß einen Heringshappen. Wir warteten und gaben uns Mühe, sie nicht anzuglotzen.
    Nach ungefähr einer Stunde, gegen halb zehn, kam der Kosak. Er wurde von zwei Anwälten sowie Narodnefts stellvertretendem Direktor begleitet, der gerade mal neunzehn Jahre alt zu sein schien. Später fand ich heraus, dass er der Schwiegersohn vom Chef des russischen Nachrichtendienstes war. Der Kosak flüsterte der jungen Frau etwas zu und klatschte ihr auf den Hintern, als sie den

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