Die Eisläuferin
Hippocampus das Bild eines gelben Kleinwagens passieren, der vor der Eishalle gestanden hatte …
Der MAV schwieg, wollte die Bilder für sich wirken lassen. Sie machten jeden Kommentar überflüssig, fand er. Er betrachtete seine Chefin eingehend, Gesicht, Kopf, Hals, |183| Arme. Nichts. Kein Einstich, keine Erhebung auf der Haut. Er atmete lauter als sonst, scrollte immer schneller mit dem Finger auf der Maus.
Die Bilder lebten, was an sich noch keine schlechte Nachricht war, fand sie.
Was sie sich um Himmels willen dabei gedacht habe, wollte er wissen, und ob sie meine, dass man Politik glaubhaft vermitteln könne über youtube, auf Schlittschuhen und auf der Straße in der Alkoholkontrolle, in Begleitung von unbekannten Männern?
Sie presste die Lippen aufeinander, gab zu bedenken, dass die Kollegen doch fast dasselbe taten in den Filmen, die man ihr gezeigt hatte, in Lederhosen und mit Federn am Hut im Bierzelt, auf Fahrrädern, in Hubschraubern. Wo sei denn der Unterschied zwischen Schlittschuhlaufen und Fahrradfahren?
Sie sei der Unterschied, sie allein, erwiderte er. Außerdem sei ihre jüngste Aktion mit einem Verkehrsdelikt verbunden gewesen, und angesichts der gesamten Fotoreihe könne man noch nicht einmal mehr eine kurzweilige Verfügung erwirken.
»Einstweilig, einstweilige Verfügung«, korrigierte der Regierungssprecher.
Der MAV überhörte das und fuhr fort: »Unter diesen Umständen können Sie unmöglich weiter mit diesem Therapeuten zusammenarbeiten. Wie wir den der Presse erklären, ist noch eine ganz andere Frage. Der muss ja von allen guten Geistern verlassen sein, dass er so etwas mit Ihnen veranstaltet!«
»Ich funktioniere sechzehn Stunden am Tag, solange mein Gedächtnis eben mitspielt. Da brauche ich auch mal Leute um mich herum, die nicht funktionieren! Das Leben ist Mischung.« Sie war aufgestanden, lief umher. Eine der großen |184| Schachfiguren auf dem Boden war nach einer unachtsamen Bewegung umgefallen. Sie gab ihr einen Tritt.
»Mit Verlaub«, der MAV wurde jetzt auch lauter, »es geht hier nicht darum, was Sie brauchen, sondern was die Regierung braucht, wenn ich Sie daran erinnern darf. Es geht jetzt darum durchzuhalten, bis wir eine Lösung gefunden haben. Wir sind noch nicht ganz so weit.«
Sie hielt inne und wiederholte: »Noch nicht ganz so weit? Eine Lösung?«
Die Büroleiterin versuchte mit dem Schlimmstmöglichen einzulenken: »Nun, es sieht so aus, als wollten Sie sich jetzt nur noch auf sich und Ihre Genesung konzentrieren und partout den Vizechef zum Chef machen.«
Schweigen im Raum.
Die Tür ging auf, und ihr Mann schaute herein, machte einen Schritt nach vorn, einen Picknickkorb im Arm. Er merkte wohl, dass dies der falsche Augenblick war, zog sich zurück und schloss die Tür wieder von außen.
Der MAV lehnte sich zum Regierungssprecher herüber und raunte ihm zu: »Das kann nicht so weitergehen. Wir müssen beschleunigen, die Gespräche vorantreiben.«
Sie hatte es nicht gehört, war mit sich selbst beschäftigt gewesen, denn sie bekam einfach den Unterschied noch nicht so richtig hin zwischen ihrer Verhaltensweise einerseits und dem Amt andererseits. Früher hatte sie nie das Gefühl gehabt, dass sie da etwas in Deckung bringen müsste. Sie war sie gewesen. Fertig. Und wer war sie jetzt? Und musste sie sich jetzt ändern, oder musste sich das Amt ändern? Doch eines war klar, und das war so ziemlich das Einzige, was sie noch wusste: »Noch habe ich das Sagen, zumindest offiziell, oder?«
Es klopfte wieder an der Tür. Der Assistent des Regierungssprechers trat ein und schleifte eine Liste mit Interviewanfragen |185| hinter sich her. Man kam überein, der Presse nicht unmittelbar noch am selben Tag Rede und Antwort zu stehen, um nicht den leisesten Anschein von vorauseilendem Gehorsam oder gar schlechten Gewissens aufkommen zu lassen. Sollte die Opposition ruhig ihr Pulver zuerst und unreflektiert verschießen. Am nächsten Tag würde alles anders aussehen, besonders im vergesslichen Kopf der Chefin.
Ebenso würde man »Das war mein Tag« ausfallen lassen, da dieser mittlerweile sowieso schon auf allen Kanälen lief. Nein, jetzt würde man sie erst einmal nach Hause schicken, ein Statement formulieren und es ihr erklären, wenn sich die Erinnerung an ihre Taten etwas verflüchtigt hatte.
Ihr Gatte setzte den Picknickkorb in den Kofferraum und ließ sich mit ihr nach Hause fahren. Ein Blick in das Gesicht seiner Frau hatte gereicht, und er
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