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Die Eisläuferin

Die Eisläuferin

Titel: Die Eisläuferin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Münk
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aufhören damit, und noch während der Bürstenkopf auch vor dem Zahnfleisch nicht haltmachte, fasste sie einen Entschluss: Sie würde eine Videobotschaft an sich selbst richten an diesem |218| Abend, sozusagen eine Anweisung für den kommenden Tag und für alle darauf folgenden Tage, mit einer Botschaft, die ihre Sorgen ein für allemal dem Erdboden gleich machen und dem Gefühlschaos ein Ende setzen würde. Die ganze Wahrheit, nichts als die Wahrheit, und zwar ungekürzt, und die Aufnahme würde sie anschließend unter ihr Kopfkissen schieben und am nächsten Morgen die Erste sein, die sie anschaute.
    Gut, das mit dem Regieren war einen Versuch wert gewesen für einige Zeit, aber nun reichte es. Letzteres musste sie sich ein wenig einreden, aber es ging. Eine Regierungschefin, die an einem Tag nicht mehr wusste, was sie am vorangegangenen getan, gesagt oder verschwiegen hatte, war wohl wenig hilfreich, wenn sie ehrlich war. Und außerdem hatte sie trotz erster Erinnerungsfetzen nun die Gewissheit, dass die Wahrheit, die man ihr an jedem neuen Tag präsentierte, nicht unbedingt ihre Wahrheit war. Schließlich war ihr ein entscheidendes Stückchen gelebtes Leben wissentlich vorenthalten worden.
    Die Suche fing im Arbeitszimmer an. Die Videokamera musste irgendwo sein, wo man sie leicht auch ohne Gedächtnis finden konnte. Sie durchsuchte den Schreibtisch, sah unter der Sofagarnitur, im Sideboard, im Bücherregal nach und fand an der Tür doch nur einen Zettel, der wie in großer Eile hingekritzelt aussah, aber etwas mit dem Verschwinden der Kamera zu tun haben mochte. Sie wusste, was das bedeutete: Nun musste sie auch noch das bilaterale Gespräch mit ihrem Mann suchen, ihn darum bitten, ihr diesen Zettel vorzulesen.
    Er tat es: »Entschuldigen, Kamera in Putzeimer gefallen, Eimer hatte voll Wasser, ich habe versucht zu trocknen mit Föhn, aber wenn kaputt, entschuldigen.«
    Und so würde die unachtsame Bewegung einer kaukasischen |219| Putzfachkraft zum Wendepunkt westlicher Regierungspolitik werden.
    »Warum hast du den Vorfall mit der Ampel aus meiner Aufnahme herausgeschnitten?« Sie konnte nun doch nicht mehr an sich halten. Natürlich, die Sache war passiert, sie ahnte auch, warum, und darüber gab es nichts mehr zu diskutieren. So. Aber dennoch, diese Vertrauensfrage musste sie jetzt einfach stellen. Ihr Herz pochte sich nach vorne, und sie hätte weinen können, denn die Tränendrüsen waren theoretisch voll funktionsfähig.
    Ihr Mann spielte mit dem Zettel in der Hand, sah auf, merkte wohl, was mit ihr los war, nahm ihre beiden Hände und legte sie in seinen Schoß: »Liebes, ich wollte dir nur das Leugnen erleichtern. Ich hab’s um deinetwillen getan. Man sagte mir, dass die Wahrheit, nun, ein bisschen unpopulär sein könnte.«
    »Kokolores, die Wahrheit ist nie unpopulär. Das wäre ein Widerspruch in sich. Das muss man jetzt auch mal so sehen, und wenn das jemand beurteilen kann, dann doch mittlerweile ich.«
    Sie ließ ihre Hände bei ihm. Denn nun blieb ihr nichts anderes übrig, als es ihm von Angesicht zu Angesicht zu sagen, ohne Kamera. Sie holte tief Luft und nahm ihm zunächst das Versprechen ab, dass er ihr am nächsten Morgen alles genau so schilderte, wie sie es ihm jetzt schilderte.
    Dies also sei ihr Wille: Sie werde sich nun von der Politik verabschieden, könne da nicht mehr hingehen, lasse sich krankschreiben. Ihre vorzeitige Arbeitswiederaufnahme sei aus nachvollziehbaren Gründen gescheitert, sie könne und wolle so nicht mehr öffentlich weiterleben. Sicher, sie habe immer mehr gearbeitet als alle anderen, um ihnen zu zeigen, wie unnütz sie seien. Aber jetzt sei sie selbst unnütz. Wenn er ihr das am nächsten Morgen verschweige, garantiere sie für nichts.
    |220| Sie ließ einen fassungslosen Gatten im Zimmer zurück. Jedes weitere Wort wäre ein Wort zu viel gewesen, es war alles gesagt, man musste sich den Dingen stellen. Also ging sie direkt ins Schlafzimmer und machte sich bereit für die Nacht.
    Herrn Bodegas Pilotenbrille steckte noch in ihrem Blazer. Das gute Stück war ihr ans Herz gewachsen. Das hätte sie nie gedacht von einer Sonnenbrille. Sie nahm sie heraus, setzte sich aufs Bett und rieb mit einem Kopfkissenzipfel die Gläser sauber. Ihr Mann würde sie auch daran erinnern müssen, sie Herrn Bodega zurückzugeben. Sie gehörte vielleicht zur Dienstausstattung und war somit Staatseigentum. Sie hätte sie zwar einfach in ihre eigene Dienstausstattung überführen können,

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