Die Eismumie
den letzten fünftausend Jahren zusammengetragen hatte, bei denen es Anzeichen für gewaltsame Tötungen gegeben hatte und von denen viele mit dem Eismann vom Mount Cairn praktisch identisch waren.
«Ich möchte Sie nun darum bitten, sich auf eine einzige Sache zu konzentrieren, nämlich auf die Verbindung zwischen den verschiedenen Mumien», richtete sich Grove an das Plenum. «Wir suchen nach dem gemeinsamen Nenner.»
«Ist das nicht offensichtlich?!», schnauzte Professor Narazi aus der Menge heraus. Seine dunklen Augen funkelten vor Zorn. Er war ein vierschrötiger Mann, Mitte sechzig, mit dunklen Augen und einem üppigen Schopf silbergrauer Haare.
Grove sah hinüber zu dem Herrn aus Saudi-Arabien. «Sir, wollen Sie uns vielleicht an Ihrer Einsicht teilhaben lassen?»
«Wir haben stundenlang alle möglichen Beschreibungen zusammengetragen», fauchte Narazi. «Es ist offensichtlich, dass die Todesursachen der aufgefundenen Exemplare übereinstimmen. Was gibt es noch hinzuzufügen?»
«Rein oberflächlich betrachtet haben Sie Recht, Herr Professor», erwiderte Grove. «Aber ich suche nach einer tieferen Verbindung. Es könnte eine kulturelle Eigenart sein oder vielleicht etwas, das uns mehr über die Psyche…»
«Verehrter Herr», unterbrach Edith Endecott Grove mit einem leisen Nuscheln. Sie trug ein elegantes, marineblaues Kleid, das die fällige Birnenform ihres Körpers nur unzulänglich kaschierte. Auf ihrer hakenförmigen Nase, die an den Schnabel eines Habichts erinnerte, saß eine breite, an den Rändern gezackte Brille. Endecott sah Grove mit ruhigem Blick an. «Meine geschätzten Kollegen haben den Eindruck, dass Sie uns etwas vorenthalten. Nichts gegen Miss County oder deren lobenswerte Publikation… aber sicherlich haben Sie uns nicht eine ganze Nacht lang in eine Diskussion verwickelt, damit die junge Dame einen populärwissenschaftlichen Artikel darüber veröffentlichen kann.»
Grove seufzte und ließ dann den Blick über die Anwesenden schweifen. Er sah zu Zorn hinüber, der nichts sagte, sondern nur zustimmend nickte. Es war Zeit für die Wahrheit.
«Also gut…», setzte Grove zu einer Erklärung an. «Wir haben es hier mit einer recht sonderbaren Angelegenheit zu tun.»
Die Schottin neigte den Kopf aufmerksam zur Seite. «Ja. Sonderbar ist wohl die richtige Beschreibung. Bitte fahren Sie fort.»
Grove berichtete den Forschern von den Sun-City-Morden. Er informierte sie darüber, dass das FBI gegenwärtig auf der Suche nach einem Mann war, der mit der Mumie vom Mount Cairn in Kontakt gekommen war. Bevor er weitere Details des Falles preisgab, bat er seine Zuhörer eindringlich, diese Informationen streng vertraulich zu behandeln. Er breche wahrscheinlich ein halbes Dutzend strenger FBI-Regeln, gab Grove zu, doch es sei sicherlich im Sinne der Ermittlungen, wenn er sein Auditorium ins Bild setzte. Während er sprach, regte sich Unruhe im Saal. Die Leute begannen hinter vorgehaltener Hand zu flüstern und sahen ihn mit besorgten Blicken an. Vermutlich hatte gerade über die Hälfte der Anwesenden das Interesse an der Versammlung verloren. Sie waren zu einem wissenschaftlichen Diskurs angereist und nicht, um bei einer bundesbehördlichen Ermittlung behilflich zu sein. In mindestens fünfzig Köpfen regte sich der Gedanke an einen vorzeitigen Aufbruch.
Professor Armatraj, der Inder, brach als Erster das betretene Schweigen. «Gehe ich recht in der Annahme, dass Sie vermuten, der Täter würde die Morde an den Mumien nachstellen? Sie meinen, es handelt sich um einen… wie nennen Sie das noch gleich… einen Nachahmungstäter?» Der dunkelhäutige Professor trug einen unauffälligen Leinenanzug, der wie ein Überbleibsel aus dem Indien der Kolonialzeit anmutete. Er sah aus, als ob er gerade einem E.-M.-Forster-Roman entstiegen wäre.
Grove nickte. «Ja, so könnte man es vielleicht ausdrücken.»
«Ach, du lieber Gott», stieß Armatraj mit gedämpfter Stimme aus.
Plötzlich flüsterten alle durcheinander und tauschten mit leisen Stimmen ihre Bedenken aus.
«Was hat das mit Archäologie zu tun?!», rief eine nervöse Frau aus dem hinteren Teil des Saales.
«Deswegen sind wir nicht hierher gekommen!», protestierte ein anderer.
Weitere Stimmen wurden laut, und Grove hob die Hände zu einer beschwichtigenden Geste. «Herrschaften, bitte!» Das Stimmengewirr ließ nach. «Ich verstehe Ihre Besorgnis. Warum machen wir nicht eine Pause, und diejenigen von Ihnen, die nach Hause reisen
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