Die Eissegler von Tran-ky-ky
blickte bedauernd auf die dünner gewordenen Reihen der feindlichen Truppen. Wahrscheinlich hatten die Tran recht. Und außerdem lagen die Flöße der Nomaden im Osten vor Anker und bildeten dort eine zweite Belagerungslinie.
Zusätzliche Waffen wurden an alle ausgegeben und gleichzeitig der Befehl, daß es bei diesem nächsten Angriff keinen Pardon geben dürfte - der Feind würde auch keinen gewähren. Wieder wurden Vorbereitungen getroffen, das Floß von unter Deck aus zu steuern, nicht wegen eines bevorstehenden Sturmes, sondern für den Fall, daß der Steuermann oben beim Versuch, die Belagerungslinie zu durchbrechen, getroffen werden sollte.
Auch die Verwundeten nahmen Schwerter oder Speere. Ebenso Elfa und Colette, und selbst Hellespont du Kane, der zumindest ein Schwert wie einen Spazierstock benutzen konnte. Die Armbrustschützen kletterten ins Tauwerk, postierten sich in ihren Mastkörben und legten sich Bolzen zurecht. Bogenschützen und Pikenträger bezogen ihre Positionen an der Reling. - Warten.
Ethan sah sich die kampfbereiten Sofoldianer an, eine jämmerlich reduzierte Gruppe, und dann die Hunderte ausgehungerter, beutegieriger Nomaden. Diesmal gab es keine Reserven, die an der Reling den Platz eines Gefallene n einnehmen konnten. Er begann all die Abschlüsse, Provisionen, Versprechungen und Frauen zu bejammern, die ihm jetzt entgehen würden. Das Ganze mußte mehr als eine halbe Stunde gedauert haben.
Vielleicht war das auch nur seine Fantasie. Oder Sagyanak und Walther hatten beschlossen, ihnen zusätzlich etwas Zeit zu lassen, in der Hoffnung, die wachsende Spannung würde die Kampfentschlossenheit der Slanderscree und ihrer Mannschaft schwächen. Weitere wertvolle Minuten für den verzweifelt schuftenden Reparaturtrupp.
Und dann kam der Angriff. Heulend und schreiend chivanierten sie von allen Seiten auf das Floß zu. Kein disziplinierter Angriff diesmal, sondern eine kreischende, wütende, unkoordinierte Bande von Teufeln.
Pfeile bohrten sich in das Deck, die Mäste, die Reling. Ein paar Meter zu seiner Linken ging ein von mehreren Pfeilen getroffener Mann zu Boden. Inzwischen erwiderten ihre Armbrust- und Bogenschützen den Beschuß von ihren überlegenen Stellungen aus. Dutzende von Barbaren brachen zusammen, Hunderte drängten nach. Wieder flogen die Enterhaken und Belagerungsleitern. Ein Haken hätte beinahe Ethan an die Reling gespießt.
Ein behelmter Kopf tauchte an der Seite auf. September schlug ihn ab - er hielt wieder seine riesige Axt in den Händen. Ethan hackte auf das verknotete Seil ein, das an dem Haken hing.
Eine Stimme hallte durch all den Lärm und die Verwirrung zu ihnen herunter. Ethan erkannte sie kaum. Es war die Stimme des Ausgucks vom Hauptmast, der oben bei den Bogenschützen seinen Posten bezogen hatte. Er benutzte ein Megaphon - eine weitere Erfindung von Williams. Seine Nachricht war kurz.
»SIE KOMMEN!«
Ta-hoding, der jedes Mal gezittert hatte, wenn ein Pfeil im Umkreis von einem halben Dutzend Maptern an ihm vorbeigezischt war, hörte es auch. Plötzlich bewegte sich seine fette Gestalt mit unerhörter Geschwindigkeit über das Deck, riß Seeleute aus ihren Stellungen und trieb sie beinahe mit Fußtritten in die Takelage. Ethan betete darum, daß der Kapitän nicht gegen einen Mast rennen und sich selbst bewußtlos schlagen möge.
Sie ließen Schwerter, Piken und Speere fallen und kletterten in die Wanten. Segel begannen zu fallen, füllten sich mit Wind. Das Rad ächzte und begann sich wie von Geisterhand bewegt zu drehen, als der Steuermann unter Deck sich mühte, die halb festgefrorene fünfte Kufe zu bewegen. Die Soldaten kämpften noch verbissener, um die Reduzierung ihrer Streitmacht auszugleichen.
Langsam schien sich eine seltsame Stille über die Kämpfer beider Seiten zu senken.
»Hören Sie es, Jungchen?« murmelte September.
»Ja. ja«, flüsterte er zurück, ohne sich bewußt zu werden, daß er geflüstert hatte.
Das Geräusch war ganz schwach und kam aus weiter Ferne. Ein sorgfältig unter Kontrolle gehaltener Tsunami. Ein beständiges Rumpeln, das aus dem Eis selbst aufzus teigen schien. Auch die Angreifer hörten es. Alle drehten sich zum östlichen Horizont. Und als das Geräusch lauter wurde, konnte man einen ganz bestimmten Rhythmus erkennen, ein Rollen und Dröhnen wie schwere Brandung.
Ein Nomade hielt mitten im Schwertschlag inne, ein anderer senkte unschlüssig den Speer, und ein dritter ließ die Bogensehne schlaff
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