Die Eissphinx
kräftige Musculatur, die Gliedmaßen »wie aus einer herkulischen Gießform hervorgegangen«, und seine Hände »so breit und so stark, daß sie die Form wie bei anderen Menschen kaum noch bewahrt hatten«, seine Arme und gebogenen Beine, sein mächtiger, großer Kopf und der über die ganze Gesichtsbreite reichende Mund und »seine Zähne, so lang, daß die Lippen sie nie mehr als theilweise bedeckten« – alles entsprach noch dem von Arthur Pym entworfenen Bilde.
Ich wiederhole, daß dieses Signalement wohl auf unseren Recruten von den Falklands-Inseln zutraf; in seinem Gesicht fand man aber nicht mehr jenen Ausdruck, der, wenn er ein Zeichen der Heiterkeit war, nur das einer »teuflischen Heiterkeit« sein konnte.
In dieser Beziehung hatte sich der Mestize mit den Jahren verändert; Erfahrung, Schicksalsschläge, die schrecklichen Ereignisse, deren Zeuge er gewesen – Ereignisse, wie Arthur Pym sagt, »die so gänzlich außerhalb der Grenzen des Dagewesenen lagen, daß kaum ein Mensch daran glauben möchte. – diese Erlebnisse waren auf Dirk Peters nicht ohne Einfluß geblieben. Jedenfalls war er aber der getreue Gefährte, dem Arthur Pym wiederholt seine Rettung zu verdanken hatte, derselbe Dirk Peters, der jenen wie einen Sohn liebte und der niemals die Hoffnung aufgegeben hatte, ihn inmitten der furchtbaren Einöden des Polargebietes noch einmal wiederzufinden.
Warum verheinilichte Dirk Peters auf den Falklands-Inseln seinen Namen, warum bewahrte er sein Incognito auch noch seit der Einschiffung auf der »Halbrane«, warum sagte er nicht gleich, wer er war, da er doch die Absichten des Kapitän Len Guy kannte, dessen Bemühungen nur darauf gerichtet waren, seine Landsleute zu retten, indem er dem Wege der »Jane« folgte?
Warum?… Ohne Zweifel aus Furcht, daß sein Name bei Anderen nur Abscheu erregen würde. War er es doch, der bei den Schreckensscenen des »Grampus« betheiligt gewesen war… der den Matrosen Parker getödtet… sich von dessen Fleische ernährt, der mit dessen Blute seinen Durst gestillt hatte! Um seinen Namen zu offenbaren, hätte er wenigstens im voraus wissen müssen, daß die »Halbrane« es auf seine Mittheilungen hin unternehmen würde, nach Arthur Pym zu suchen.
Nachdem er also einige Jahre in Illinois verlebt, hatte sich der Mestize nach den Falklands-Inseln in der Absicht begeben, die erste Gelegenheit zu ergreifen, die ihm eine Rückkehr nach dem tiefsüdlichen Polarmeer versprach. Bei seinem Dienstantritt auf der »Halbrane« hoffte er, den Kapitän Len Guy, nachdem dieser seine Landsleute auf der Insel Tsalal gerettet hatte, auch zu einer Ausdehnung der Fahrt nach noch höheren Breiten zu Gunsten Arthur Pym’s bestimmen zu können.
Kein Mensch von gesunden Sinnen hätte aber zugestanden, daß jener Unglückliche nach elf Jahren noch auf Erden wandle. Die Existenz des Kapitän William Guy und seiner Gefährten war ja durch die Hilfsquellen der Insel Tsalal einigermaßen gesichert, und außerdem bewiesen die Aufzeichnungen Patterson’s, daß sich diese, als er von ihnen getrennt wurde, jedenfalls noch dort befanden. Daß aber Arthur Pym noch leben sollte, war doch mindestens viel unwahrscheinlicher.
Der Versicherung des Dirk Peters gegenüber – die übrigens fast gänzlich in der Luft schwebte – verhielt ich mich aber doch nicht so ungläubig, wie das in diesem Falle wohl berechtigt schien. Nein! Als der Mestize ausrief: »Pym ist nicht todt!… Pym ist dort!… Der arme Pym darf nicht im Stich gelassen werden!«… da fand das in meinem Herzen einen lauten Widerhall.
Und dann dachte ich an Edgar Poë und fragte mich, was er wohl sagen, wie verlegen er sein würde, wenn die »Halbrane« Den mit zurückbrachte, dessen »plötzlichen und beklagenswerthen Tod« er gemeldet hatte.
Entschieden war ich seit dem Entschlusse, an der Fahrt der »Halbrane« theilzunehmen, nicht mehr derselbe, der praktische, vernünftige Mann wie früher. Ja, für Arthur Pym fühlte ich mein Herz jetzt ebenso lebhaft schlagen, wie das des Dirk Peters. Von der Insel Tsalal wieder nach Norden zu gehen, nach dem Atlantischen Ocean zu steuern, das erschien mir wie die Vernachlässigung einer Menschenpflicht, der Pflicht, einem Unglücklichen zu Hilfe zu eilen, der verlassen in den Eiswüsten des Polargebietes weilte.
Ein Gesuch freilich an den Kapitän Len Guy, die Goëlette in diesen Meeren noch weiter hinauf zu führen, der Besatzung neue Mühsal zuzumuthen, nachdem sie schon so viele
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