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Die Eissphinx

Die Eissphinx

Titel: Die Eissphinx Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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Uferland ihre Unterlage bildet. Anders liegt es mit dem sogenannten Packeis. Das entsteht erst weit von der Landmasse und bildet sich auf dem Meere selbst durch das unablässige Zusammenfrieren treibender Eismassen. Da es aber den Angriffen des Seegangs und der Abnagung durch das im Sommer wärmere Wasser ebenfalls ausgesetzt ist, zertheilt es sich hier und da, läßt Wasserstraßen zwischen sich frei, und schon viele Schiffe haben streckenweise bis hinter dasselbe gelangen können.
    – Ganz recht, fügte ich hinzu, das Packeis bildet keine endlos zusammenhängende Masse, die man nicht zu umsegeln vermöchte.
    – Auch Weddell hat hindurchgelangen können, Herr Jeorling, freilich unter außergewöhnlich günstigen und sehr frühzeitig auftretenden Temperaturverhältnissen, die ja nur selten sind. Da die gleichen Verhältnisse aber auch heuer vorliegen, ist es nicht vorwitzig, zu sagen, daß wir sie auszunützen wissen werden.
    – Gewiß, Herr Kapitän, und jetzt wo das Packeis in Sicht ist…
    – Werd’ ich die »Halbrane« so weit wie möglich in dessen Nähe gehen und sie in den ersten Durchgang, den wir entdecken, einlaufen lassen. Zeigt sich kein solcher, so versuchen wir am Packeis bis zu seinem östlichen Ende hinzusteuern, und zwar mit Hilfe der dahin verlaufenden Strömung und so dicht wie möglich am Winde, wenn dieser aus Nordosten stehen bleibt.«
    In schneller Fahrt nach Süden begegnete die Goëlette Eisfeldern von gewaltiger Ausdehnung. Durch Messung mehrerer Seitenwinkel und der Basis (mittelst des Logs) ließ sich ihre Oberfläche auf fünf-bis sechshundert Quadrattoisen bestimmen. Man mußte mit gleich viel Sicherheit und Vorsicht steuern, um sich nicht in einer der engen Wasserstraßen dazwischen zu fangen, deren Ausgang nicht immer gleich zu sehen war.
    Als die »Halbrane« sich nur noch drei Seemeilen vom Packeis entfernt befand, braßte sie inmitten eines großen Beckens auf, wo sie sich nach allen Seiten hin frei bewegen konnte.
    Jetzt wurde ein Boot zu Wasser gebracht, worin der Kapitän Len Guy mit dem Hochbootsmann, vier Matrosen an den Riemen und einer am Ruder Platz nahmen. Dasselbe glitt nach dem riesigen Eiswalle zu, suchte hier vergeblich einen Durchgang, den die Goulette hätte benützen können, und kehrte nach dreistündiger, anstrengender Untersuchung nach dem Schiffe zurück.
    Bald darauf fiel ein Schauer mit Schnee vermischten Regens, der die Lufttemperatur auf sechsunddreißig Grad (+2·22° Celsius) herabsetzte und uns die Aussicht nach dem Packeis vollständig abschnitt.
    Wir mußten deshalb nach Südost wenden und durch die zahllosen Schollen immer mit der Vorsicht hinsegeln, nicht an den Eiswall verschlagen zu werden, denn von ihm wieder frei zu kommen, hätte sehr ernste Schwierigkeiten geboten.
    Jem West gab Befehl, die Segel so einzustellen, daß wir so dicht wie möglich am Winde hinliefen.
    Die Mannschaft arbeitete hurtig, und die über Steuerbord geneigte Goulette drang mit der Geschwindigkeit von sieben bis acht Seemeilen in das auf ihrem Wege verstreute Gewirr von Eisblöcken ein. Sie wußte ihnen auszuweichen, wenn ein Zusammenstoß damit gefährlich gewesen wäre, oder fuhr wenn es sich um dünnere Schollen handelte, grade darauf los und zersprengte sie mit ihrem Vordersteven, der wie ein Rammsporn wirkte. Ost knirschte und krachte es längs der Wand des Schiffes, das zuweilen durch und durch erzitterte, dann aber gelangte die »Halbrane« wieder in freies Wasser.
    Am wichtigsten war es natürlich, sich vor einen Anprall an eigentliche Eisberge zu hüten. Das bot keine Schwierigkeiten bei klarem Wetter, das rechtzeitig alle nothwendigen Maßregeln gestattete, die Geschwindigkeit der Goulette zu vergrößern oder zu verkleinern. Bei den häufigen Nebeln, die den Gesichtskreis auf eine, höchstens zwei Kabellängen beschränkten, blieb die Fahrt aber immerhin gefährlich.
    Doch von den Eisbergen abgesehen, war die »Halbrane« ja auch dem Zusammenstoß mit Eisfeldern ausgesetzt, und wer es nicht selbst gesehen hat, kann sich keine Vorstellung von der Kraft machen, die solchen in Bewegung befindlichen Massen innewohnt.
    Gerade an diesem Tage beobachteten wir, wie ein nur langsam hintreibendes Eisfeld an ein ruhig liegendes anprallte. Dieses zweite wurde völlig zersprengt, seine Oberfläche durcheinandergewürfelt und das ganze so gut wie vernichtet. Nur gewaltige Trümmer blieben davon übereinander geschoben übrig, »Hummocks«, die bis zu hundert Fuß aufragten,

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