Die Eistoten: Thriller (German Edition)
erwachsenes Gesicht auf. Das funktionierte manchmal, besonders wenn sie gleich drauflosredete.
»Na, kleines Fräulein, was kann ich für dich tun?«
»Ich möchte bitte mit dem Redakteur Jakob Mulder sprechen?«
»Gibt es denn etwas Wichtiges?«
»Das kann ich nur ihm sagen.«
»Ich bin sein Nachfolger.«
»Wie, sein Nachfolger?« Für einen Moment verlor Alice den roten Faden. »Ich habe hier seine Adresse, seine Handynummer …«
»Darf ich?« Der junge Mann nahm den Zettel mit Toms Daten. »Ich weiß zwar nicht, wo du Jakobs private Handynummer herhast und diese Kontaktdaten, aber sie sind nicht mehr aktuell.«
»Hat er eine neue Nummer?«
»Herr Mulder ist nicht mehr bei uns.«
»Ist er verreist?«
»Er hat eine Reise angetreten, von der keiner mehr zurückkommt.«
»Das gibt’s doch nicht«, murmelte Alice.
»Es tut mir leid, aber Jakob Mulder ist tot.«
Vielleicht sehe ich ihn wie Wittgenstein? Bisher musste sie ganze Bücher lesen, und selbst dann kehrte nicht jeder Autor zurück … Es gab da etwas, was sie nicht verstand. Und wenn du doch verrückt bist?
Sie kniff sich in den Arm. Es tat weh. Die Welt war noch in Ordnung.
Die Spuren zu den Eistoten sind nicht leichenfrei. Der junge Mann konnte die Enttäuschung in Alices Gesicht lesen.
»Komm erst mal rein.«
Die Redaktion glich zwar äußerlich einer Wohnung, drinnen herrschte jedoch Hochbetrieb unter kalten Neonröhren. Dichter Zigarettenrauch, Stimmen, die durcheinanderredeten.
»Willst du eine Cola?«
»Wenn es keine Cola light ist, dann gerne.«
»Du musst noch nicht auf deine Linie achten.« Der junge Mann lachte und zog aus dem Automaten eine Dose Cola.
»Fettsucht ist kein Erwachsenenproblem, sondern ein Zivilisationsproblem.«
»Woher stammt dieser Spruch?«
» Psychologie heute . In der aktuellen Dezemberausgabe.«
»Du liest Psychologie-Fachzeitschriften.«
»Hin und wieder … wenn meine Ermittlungen es zulassen.«
Oder wenn dein Vater dich zum Irrendoktor verfrachtet …
»Na dann … Darf ich wissen, woher du Mulders Privatnummer hast? Wir geben die Nummern von unseren Mitarbeitern nie heraus. Sie sind nur intern bekannt. Da müsstest du schon einen Zugang zu unseren Computern haben.«
»Ich habe meine Quellen … Sie verstehen, Quellenschutz und so. Kann ich nicht nennen.«
»Aber warum wolltest du mit Jakob Mulder sprechen?«
Alice ploppte ihre Dose auf. Die Cola schäumte, so dass sie gleich ihren Mund auf die Dose presste. Das gab ihr ein paar Sekunden, um nachzudenken. Sie hatte keinen Plan. Dass der Journalist tot war, damit hatte sie nicht gerechnet.
»Wegen den Eistoten … Sie wissen schon, der Artikel, den er geschrieben hatte.«
Der junge Mann wurde ernst. »Was weißt du über die Eistoten?«, fragte er und winkte einer Frau in ausgewaschenen Jeans und mit einer knallroten Frisur.
So was gäbe es in Hintereck nie, dachte Alice. Außer Amalias neuer Explosionsfrisur. Eine knallrote Frisur würde Amalia auch stehen, als Warnfarbe, wie man sie an Baustellen anbrachte.
»Das ist Elsa«, sagte der junge Mann, »sie hat mit Jakob zusammengearbeitet. Sie kann deine Fragen beantworten.« Damit verschwand der junge Mann hinter einer Milchglaswand.
»Du kommst wegen des Artikels mit den Eistoten?«
»Ja, ich wollte Herrn Mulder einiges fragen, aber dafür ist es jetzt wohl zu spät.«
»Leider, Jakob hat uns zu früh verlassen. Völlig überraschend. Niemand von uns hätte gedacht, dass Jakob innerlich so am Abgrund stand.«
»Was ist mit ihm passiert?«
»Der Bergwacht nach ist er am Grünten an einer Stelle abgestürzt, wo noch nie einer abgestürzt ist, wo man nicht abstürzen kann, wenn man es nicht will.«
»Herr Mulder hat sich umgebracht.«
»So sah es aus. Ganz sicher werden wir uns nie sein können. Aber das ist kein Thema für ein kleines Mädchen, oder?«
»Warum? Selbstmord bei Jugendlichen ist keine Seltenheit. Kann es auch sein, dass Herr Mulder nicht freiwillig gesprungen ist?«
Die Frau schwieg und wirkte plötzlich beunruhigt. »Das ist gut möglich«, flüsterte sie, »die ganze Geschichte mit den Eistoten, an der er gearbeitet hatte, war merkwürdig. Jakob hatte mit einem Mal den Tick, dass er die Schlösser in seinem Schreibtisch ausgewechselt hatte. In seiner Wohnung ließ er die Tür verstärken. Er kaufte ein abhörsicheres Handy. Ohne Codierung konnte man mit ihm nicht mehr sprechen. In der Tiefgarage drehte er sich in alle Richtungen, bevor er zu seinem Auto ging. Ich
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