Die Elben - 02 - Die Könige der Elben
andere Mal gezwungen war, ihn zu führen, weil mir keine andere Wahl blieb.«
»Und diese Zeiten werden wiederkommen«, erklärte Prinz Sandrilas mit beschwörender Stimme. Der Einäugige hatte die Hände zu Fäusten geballt, sein Gesicht zeigte einen harten, entschlossenen Ausdruck. Schon lange hatte er den Vorschlag eines Präventivkrieges offen auf den Tisch legen wollen, doch da er wusste, wie sehr er damit auf Ablehnung stoßen würde, hatte er es bisher nicht gewagt. Aber es gab seiner Ansicht nach auf Dauer keine andere Möglichkeit, die Grenzen des Elbenreichs zu schützen. »Die Menschenbrut ist derart zahlreich geworden, und sie vermehrt sich auf eine so rasende Art und Weise, dass sie eines Tages einer großen Flut gleich über uns kommen wird«, prophezeite der Prinz. »Und anders als bei uns Elben, die wir die Schlacht an der Aratanischen Mauer erlebt haben, verändert sich bei ihnen die Erinnerung daran, wird die Geschichte von Generation zu Generation weitergetragen, ausgeschmückt und heroisiert, wird zu einer Legende, in der die Tatsachen verdreht sind und heldenhafte Menschen siegreich den Vorstoß elbischer Invasoren stoppten, sodass der Ausgang der Schlacht in ihren Augen schließlich zum Triumph der Menschen über eine Rasse wird, die sich als Götter aufspielen wollte. Und damit wächst ihr Selbstvertrauen, steigert sich ins Unermessliche. Sie werden eines Tages diese Schlacht wiederholen wollen, weil sie auch in uns eine Bedrohung sehen.«
Wieder herrschte einige Augenblicke lang Schweigen. Die Blicke aller waren auf Keandir gerichtet, und Prinz Sandrilas entging nicht eine gewisse Entschlusslosigkeit des Königs. Er war seit der Schlacht an der Aratanischen Mauer, seiner schweren Verwundung und dem Verlust der Elbensteine noch lange nicht wieder derselbe. In diesem Augenblick wurde Prinz Sandrilas dieser Umstand auf so eindringliche Weise bewusst, dass es ihn in der Seele schmerzte.
»Ich habe meine grundsätzliche Ablehnung des Krieges bereits mehrfach kundgetan«, erklärte der König. »Was nicht bedeutet, dass wir nicht zu diesem letzten Mittel greifen würden, wenn tatsächlich Gefahr für Elbiana bestünde und wir uns nur auf diese Weise verteidigen könnten. Aber ehrlich gesagt, alles sträubt sich in mir dagegen. Wir sind Elben, und es mag sein, dass es ab und zu notwendig ist, gegen die Barbaren zu kämpfen. Aber das sollte nicht dazu führen, dass wir selbst barbarische Züge annehmen.« Er wandte sein Gesicht in Sandrilas’ Richtung. »Nehmt mir meine Worte nicht übel, werter Prinz.«
»Gewiss nicht, mein König.«
»Es war keinesfalls meine Absicht, Euch mit dem Wort
›barbarisch‹ herabzusetzen, aber Ihr werdet selbst zugeben müssen, dass Euer Vorschlag allem widerspricht, was in der elbischen Kultur hochgehalten wird.«
»Das ist wahr. Aber lasst es mich in aller Offenheit sagen: Vielleicht können wir uns Edelmut nicht mehr in der gleichen Weise leisten wie in der Vergangenheit.«
»Ihr wollt also die Barbaren mit den Mitteln der Barbaren bekämpfen«, mischte sich Isidorn von Nordbergen ein. »Zuvor sollten wir allerdings bedenken, ob der Vorschlag überhaupt durchführbar ist. Sind wir derzeit überhaupt in der Lage, unsere potenziellen Feinde anzugreifen und zu besiegen? Ich bezweifle dies.«
»Als Befehlshaber des Elbenheers muss ich Euch da widersprechen«, erklärte Prinz Sandrilas. »Waffenmeister Thamandor hat eine Truppe von fast zweihundertfünfzig Elbenkriegern mit den von ihm entwickelten Einhandarmbrüsten ausgerüstet. Außerdem sind neuartige und sehr viel wirksamere Katapulte für unsere Verteidigungsstellungen an der Aratanischen Mauer entwickelt worden.«
»Angeblich soll Thamandor mit einer völlig neuartigen Waffe experimentieren – einer Art Flammenlanze«, äußerte sich Branagorn von Elbara.
»Die Gerüchte, die Ihr darüber gehört haben mögt, entsprechen der Wahrheit«, erklärte Herzog Ygolas. »Ich hatte bereits Gelegenheit, mit Thamandor zu sprechen, dessen Manufakturen und Werkstätten sich ja außerhalb der Mauern von Elbenhaven befinden…« Ein Schmunzeln glitt dabei über sein Gesicht. Ein Schmunzeln, das von den anderen Herzögen und auch dem König aufgegriffen wurde. Schließlich konnten sie sich alle noch gut daran erinnern, welche verheerenden Verwüstungen teilweise durch die waffentechnischen und alchimistischen Experimente des genialen Erfinders angerichtet worden waren. Ihm war es daraufhin untersagt worden, seine
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