Die Elben - 03 - Der Krieg der Elben
lassen.«
Keandir stand wie erstarrt da. »Das ist nicht wahr…«, flüsterte er, und seine Hände ballten sich zu Fäusten.
»Leider doch«, sagte Ithrondyr, »Hätte die Nachricht, dass Ihr noch lebt, sie doch rechtzeitig erreicht…«
Doch Keandir wiederholte nur wieder: »Es ist nicht wahr…«
Er warf seinem Sohn einen Blick zu. Der nickte ihm leicht zu.
Man hatte die Königin in der Halle der vier Sphären aufgebahrt. Andir, Sandrilas, Lirandil und Admiral Ithrondyr begleiteten Keandir dorthin. Die Heilerin Nathranwen kniete vor der Leiche ihrer Königin und weinte. Als der König mit seinem Gefolge in die Halle trat, warf sie sich ihm zu Füßen und bedauerte unter Tränen, dass sie nichts mehr für Ruwen hatte tun können, da ihre Seele bereits nach Eldrana entschwunden gewesen war, als man die Tote entdeckt hatte, herbeigelockt von ihrem Todesschrei.
»Warum ein Schrei, wenn sie dem Lebensüberdruss zum Opfer fiel?«, fragte Keandir. »Ich bin ein Seegeborener und habe während der großen Seereise sehr häufig erleben müssen, wie sich Elben im Lebensüberdruss in die Fluten stürzten, aber keiner von ihnen hat geschrien, denn der Tod bedeutete für sie die Erlösung aus dem Elend, als das sie ihr Leben empfanden; sie versanken, ohne einen Laut von sich zu geben, im dunklen Wasser des zeitlosen Nebelmeers. Nein, es ist mir nicht ein Einziger von ihnen in Erinnerung geblieben, der die Elbenheit mit einem Schrei geweckt hätte.«
»Es war vielleicht ein Schrei der Verzweiflung über Euren Tod«, sagte Nathranwen.
Keandir schüttelte den Kopf. »Ich hatte noch vor Stunden –
und das muss kurz vor ihrem Tod gewesen sein – geistigen Kontakt zu ihr. Sie hatte ganz gewiss keinen Anfall von Lebensüberdruss…«
Er sank vor Ruwens Leichnam auf die Knie, nahm ihre kalte Hand, und Tränen traten dem König in die Augen. Es waren keine Tränen der Trauer, sondern des Zorns. Beide waren sie während der großen Seereise geboren worden. Auf den Planken der Elbenschiffe, die an dem großen Exodus aus der Alten Heimat Athranor teilgenommen hatten, war ihre Liebe erblüht, und gemeinsam waren sie durch die Jahrhunderte gegangen. Keandir konnte sich nicht vorstellen, wie die Zukunft ohne diese vertraute Liebende aussehen sollte.
Doch seine Trauer hatte sich längst in Wut verwandelt, und zu ihrem Entsetzen sahen die anwesenden Elben, wie sich die Augen ihres Königs schwarz wie die Nacht färbten und das Weiße darin vollkommen verdrängten. Er stieß einen barbarischen Schrei aus, wie man es bisher nur auf dem Schlachtfeld von ihm gehört hatte. Dann ließ er Ruwens Hand los und ging mit schnellen Schritten auf den Ausgang der Halle zu.
Sandrilas schritt ihm entgegen und fasste ihn bei den Schultern. »Mein König, was habt Ihr vor?«
»Den Mörder Ruwens zur Rechenschaft ziehen!«, lautete Keandirs grimmige Antwort, und seine Linke schloss sich dabei um den Griff Schicksalsbezwingers. »Hauptmann Rhiagon – ihn hat sie zuletzt gesehen! Mit magisch leuchtenden Augen!«
»Mit Magie hat das nichts zu tun!«, mischte sich Nathranwen ein. »Das sind künstliche Kristallaugen eines Erfinders aus Berghaven, die er auf dem Markt erwarb.« Ebenso wie Lirandil war die Heilerin zu Keandir und Sandrilas gelaufen, um den König von einer unbedachten Handlung abzuhalten.
Beide befürchteten sie, Keandir könnte seine unermessliche Trauer und Wut an einem Unschuldigen austoben. »Es kann nicht wahr sein, was Ihr glaubt, mein König.«
»Ich habe gesehen, was Ruwen in ihren letzten Momenten sah«, sagte Keandir.
»Aber wenn sie Hauptmann Rhiagon sah und sich dann vom Turm stürzte«, fragte Nathranwen, »warum kümmerte er sich dann nicht sofort um sie? Warum war er nicht im Burghof anzutreffen?«
»Ihr versteht offenbar nicht, was ich sage!«, brauste Keandir auf und wollte wieder gehen, doch Sandrilas stellte sich ihm erneut in den Weg und sagte mahnend, ja, beschwörend:
»Mein König!«
Andir war vollkommen versunken bei seiner toten Mutter stehen geblieben. Sein Blick ging ins Nichts, wirkte matt und unendlich traurig.
Keandir wollte Prinz Sandrilas zur Seite schieben. »Lasst mich gehen!«, forderte er.
Aber Sandrilas gab nicht nach, stellte sich dem König noch einmal in den Weg und fasste ihn erneut – und diesmal kräftiger – bei den Schultern. »Mein König, führt Euch doch nicht auf wie ein Bluträcher der Rhagar! Was beabsichtigt Ihr?
Wollt Ihr Hauptmann Rhiagon, der im Kampf sein Leben für
Weitere Kostenlose Bücher