Die Elben - 03 - Der Krieg der Elben
in Athranor berichteten vornehmlich schamanische Chronisten davon, dass die Maladran einem ähnlichen Kältegefühl ausgesetzt waren, wenn sie ins jenseitige Reich der Verblassenden Schatten eingingen. Sollte das sein Schicksal sein? Sollte aus dem größten Magier, den die Elbenheit seit einem Äon hatte, ein verblassender Schatten in Maldrana werden? Ein Nichts, dessen Namen man vergessen würde?
Er fühlte, wie er von grob zufassenden Händen niedergerissen wurde. Eigentlich hatte er erwartet, im nächsten Moment den harten, rutschigen Felsboden zu spüren, aus dem das Gipfelplateau rund um die Felsennadel bestand. Aber da war nichts; Andir hatte das Gefühl, in purer Finsternis zu schweben. Das dunkle Etwas, das ihn angegriffen hatte, machte sich derweil daran, ihn vollkommen zu durchdringen und jeden Winkel seiner Seele auszufüllen.
So hatte er sich sein Ende nicht vorgestellt…
Erneut versuchte er sich mit seinen weißmagischen Kräften gegen das zu wehren, was ihm angetan wurde. Aber zum ersten Mal in seinem Leben verweigerten ihm diese Kräfte den Gehorsam; er hatte keine Gewalt mehr über sie. Die Kälte ließ ihn innerlich erstarren und lähmte jeden Gedanken, bis Gleichgültigkeit von ihm Besitz ergriff. Sein Widerstandswillen verflüchtigte sich. Die Agonie des Todes wurde zum beherrschenden Element.
Ergib dich deinem Schatten und lass es zu, dass die Finsternis in deine Seele zurückkehrt. Sie war immer dort, von Anfang an…
Eine traumartige Szene erschien vor Andirs innerem Auge: König Keandir kehrte von Naranduin zurück. Er legte die Hand auf Ruwens Bauch, und die Finsternis fuhr als ein rauchartiger Schwarm kleinster, wie Insekten durcheinanderschwirrender Teilchen von der Hand des Elbenkönigs in Ruwens Leib.
Es ist kein Traum.
Es ist eine Erinnerung an Dinge, an die sich normalerweise niemand zu erinnern vermag.
Sei also nicht überrascht.
Alles, was geschieht, hast du bereits einmal durchgemacht, auch wenn es geschah, noch bevor sich deine Seele zur Gänze gebildet hatte.
Da waren nur Dunkelheit und der Schlag eines großen Herzens; in seinen übermächtigen Rhythmus ordneten sich die beiden schwachen, nur für die geübten Ohren der Heilerin Nathranwen überhaupt wahrnehmbaren Pulsschläge der Zwillinge ein.
Andir.
Magolas.
Ihre Namen standen bereits fest. Ihr Schicksal vielleicht auch.
Der Schwarm der Finsternis berührte sie beide und erfüllte ihre Seelen. Die Gedankenschreie der Ungeborenen blieben ungehört.
Die Finsternis war immer in dir, auch wenn du versucht hast, sie einzuschließen und dann ganz aus deiner Seele zu verbannen. Aber je mehr du vor ihr zu fliehen versuchst, desto hartnäckiger wird sie dich verfolgen.
»Nein!«
Andir begriff im ersten Moment nicht, dass er selbst es war, der diesen Schrei voller Qual und Schmerz ausstieß. Er sah die zwei Kinder innerhalb von Augenblicken heranwachsen. Er erlebte mit, wie sie ihre eigene Sprache entwickelten, die nur von ihnen beiden verstanden wurde, wie sie einander im Wachstum und in der Entwicklung nacheiferten, was dazu führte, dass sie sich viel schneller entwickelten, als dies bei Elbenkindern für gewöhnlich der Fall war. Schlaglichtartig sah er den Kampf, den sie sich im Alter von acht Jahren mit den Zauberstäben des Augenlosen Sehers geliefert hatten, woraufhin ihr Vater die Artefakte in einem Verlies unterhalb der Burg von Elbenhaven eingeschlossen hatte. Er sah, wie er mit Magolas in einer Barkasse vor die Küste Naranduins gesegelt war und seinen Bruder niederschlug, um zu verhindern, dass dieser der düsteren Magie der Insel erlag, woraufhin sie für viele Jahre kein Wort mehr miteinander sprachen.
»Kinder der Finsternis sind wir jetzt beide!«, hörte Andir dann eine Stimme sagen, von der er nicht wusste, ob es die seines Bruders oder die seines Vaters war.
Ein weiteres Mal schrie Andir auf.
»Nein!«
Ein verlorener, einsamer Laut in einem Meer aus Finsternis und Kälte – und der letzte Gedanke, zu dem Andir fähig war.
Dann war nur noch das Nichts. Pure Dunkelheit, die ihn wie ein kaltes Leichentuch einzuhüllen schien.
Die normalerweise elfenbeinfarbene, langfingrige Elbenhand war blau gefroren. Eine Totenhand, von Raureif überzogen, die zunächst leicht zuckte und sich dann zur Faust schloss.
»Steh auf, größter Magier der Elben!«, sagte eine befehlsgewohnte Stimme.
Andir hob den Kopf. Er hatte keine Ahnung, wie lange er auf dem kalten Felsgrund des Gipfelplateaus gelegen
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