Die Elben - 03 - Der Krieg der Elben
man vertrat dort die Ansicht, dass es der geistigen Disziplin und spirituellen Stärke des Einzelnen oblag, sich nicht in der Betrachtung solcher Gemälde zu verlieren, mochten sie noch so eindrucksvoll sein.
Mindoril der Wahnsinnige – dieser Name wurde jenem Künstler von der in dieser Zeit dominierenden Überlieferung des Ostelbenreichs gegeben, während man ihn im Westeibenreich wechselweise Mindoril den Genialen oder Mindoril den Sichtbarmachenden nannte. Er hatte seinem Leben selbst ein Ende gemacht, da er es nicht länger ertragen hatte, der Grund für die Spaltung der athranorischen Elbenheit zu sein.
Bis zu einem Friedensschluss der beiden Reiche hatte es ein weiteres Jahrtausend gedauert, und bis es dann zu einer Aufhebung des Bilderverbots im Osten und einer Wiedervereinigung der Elbenheit in einem einheitlichen Reich kam, folgten noch anderthalb Jahrtausende mehr oder minder intensiver Verhandlungen – eine Zeit der Zersplitterung, denn es spalteten sich zeitweilig weitere Elbenreiche ab, in denen abweichende Auffassungen zum Bilderstreit vertreten wurden.
So gab es besonders sektiererisch eingestellte Teilreiche, in denen selbst das absolute Bilderverbot des Osteibenreichs als zu liberal angesehen wurde und man folgerichtig auch Beschreibungen von Bildern als gefährlich einstufte.
Diese Beschreibungen hatten im Osteibenreich schon ziemlich bald nach dem Verbot der Malerei kursiert.
Abschriften jener Manuskripte waren zu Höchstpreisen gehandelt worden, und der Legende nach war ein Magier namens Asirindis der Trickreiche zu einem gewaltigen Vermögen gekommen, indem er einen Zauber zur Kopie dieser Schriften erfand, der es ihm erlaubte, in kürzester Zeit derart viele Exemplare dieser Beschreibungen zu produzieren, dass sie bald im gesamten Osteibenreich stärkere Verbreitung fanden als die Propagandaschriften derjenigen, die vor den Gefahren warnten, die angeblich von den Bildern ausgingen.
Einige dieser Beschreibungen von der gigantomanischen und höchst eindrücklichen Kunst von Mindoril dem Wahnsinnigen und einer Schar weniger begabter Künstler hatten in Büchern und auf Schriftrollen Jahrtausende später die große Seereise der Elben durch das zeitlose Nebelmeer mitgemacht und auf diese Weise die Küste des Zwischenlandes erreicht, wo sie Bestandteil der Bibliotheken von Elbenhaven geworden waren.
Andir hatte diese Beschreibungen gelesen, und obgleich sie kein Ersatz für den tatsächlichen Anblick eines der Kunstwerke Mindorils sein konnten, hatte er den Schauder durchaus nachempfinden können, den die Elben in der Alten Zeit beim Betrachten der gewaltigen Felsgemälde gespürt haben mussten. Wahrscheinlich waren diese riesigen Kunstwerke längst dem Zahn der Zeit zum Opfer gefallen, doch er fragte sich, was diese uralten Beschreibungen wohl in ihm selbst angesprochen hatten, dass er sich so intensiv mit ihnen beschäftigt hatte und sich ihm die Erinnerung daran ausgerechnet in diesem Moment höchster Bedrohung aufdrängte. Er hatte die Beschreibungen der Bilder Mindorils des Wahnsinnigen seinerzeit so genau studiert, dass er bisweilen schon geglaubt hatte, jener Gemälde tatsächlich ansichtig geworden zu sein.
Es ist der Schauder, der beides verbindet. Spürst du es nicht?
Die Felsgemälde des Mindoril sprechen denselben wunden Punkt in deiner Elbenseele an wie die Ausgeburten der Finsternis, von denen du dich verfolgt glaubst…
Andir versuchte diesen Gedanken zu verscheuchen wie ein lästiges Insekt, dessen Geist zu primitiv war, um ihn sich mit einem geistigen Befehl unterwerfen zu können. Da vernahm er wieder das qualvolle Stöhnen, das sich in das Grollen eines wilden Tieres verwandelte und sehr bedrohlich klang.
»Ihr Namenlosen Götter, sagt mir, was ich tun soll!«, rief er in dem Bewusstsein, dass sie ihn weder hörten, noch Interesse an seinem Schicksal hatten. Wie verzweifelt musste er sein, wenn er sich schon dazu hinreißen ließ, diese ätherischen Idole anzurufen, von denen er keinerlei Mitgefühl erwarten durfte?
Brass Elimbor, der legendäre Schamane, war ihm in seiner Einsamkeit wiederholt und in unterschiedlichster Form erschienen. Aber auch der ehemalige Obere des Schamanenordens, dessen sterbliche Hülle auf einem Felsplateau in der Nähe von Elbenhaven hockte, durch einen Zauber vor der Verwesung geschützt und den Blick ins Landesinnere gerichtet, meldete sich nicht bei ihm; er schwieg, obwohl er den Elben von allen Jenseitigen gegenwärtig ganz gewiss am
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