Die Elefanten meines Bruders (German Edition)
Ausnahmeregelungen gibt. Und auf die hat er sich berufen.
Plötzlich meinte er, dass ich ihn sehr an seinen toten Enkel erinnere und hat mir über den Kopf gestreichelt. Das mag ich eigentlich nicht so gerne, aber bei Serrano ist es irgendwie OK. Vielleicht auch wegen seinem Enkel, der nicht mehr da ist.
Eine Frau am Nachbartisch hat auch gleich ganz komisch geguckt, als Serrano mir über den Kopf gestreichelt hat. Beim ersten Mal nicht, aber beim zweiten Mal schon. Dann hat sie sich zu mir rüber gebeugt und gefragt:
„Weiß deine Mutter eigentlich, dass du hier bist?“
Erwachsene stellen manchmal völlig bescheuerte Fragen. Woher solle meine Mutter denn wissen, dass ich mit Serrano beim Eisessen bin? Wir haben uns ja gerade in der U-Bahn getroffen. Deshalb sagte ich auch:
„Nein, das weiß sie nicht. Wir haben uns gerade in der U-Bahn getroffen.“
Aber das machte die Frau am Nachbartisch nicht zufrieden. Sie hatte mir eine Frage gestellt und ich habe sie auch nicht angelogen. Aber trotzdem hat sie nicht aufgehört rumzueiern. Die Frau am Nachbartisch ist wie meine Tante Gisela. Sie mischt sich auch überall ein und geht allen tierisch auf die Nerven. Sie hat sogar dieselbe Frisur wie meine Tante. Einen kurzen Pony-Haarschnitt und trägt auch so eine bunte Brille.
Plötzlich fiel mir ein, dass sie vielleicht gar nicht echt ist. Ich meine, was ist, wenn Gisela und sie vom selben Fließband kommen. Tyrell, die neue Serie, spült Geschirr, saugt den Teppich und geht mit dem Hund spazieren. Wir haben zwar keinen Hund, aber wenn wir einen hätten, dann könnte sie mit ihm Gassi gehen. Frau Dr. Käfer hat Mr. Tinkles. Das ist zwar eine Katze, und Katzen gehen nicht gerne spazieren, aber sie könnte sie dann spazieren tragen. Wenn ich den Verdacht habe, dass manche Erwachsenen nicht echt sind, weil sie sich so komisch verhalten, dann mache ich entweder den Replikantentest, um zu sehen, ob die Augen bei Stress leuchten, oder beuge mich vor um nachzusehen, ob die Leute einen Schalter hinter dem Ohr haben.
Meine Eltern haben Serrano von dem Replikantentest erzählt. Sie haben gesagt, dass das eine Manie von mir ist. Ich weiß zwar nicht, was eine Manie ist, aber ich habe mir das Wort gemerkt, weil es so komisch klingt. Maniemaniemaniemaniemaniemanie. Das ist aber viel schwieriger auszusprechen als Ackckackckackckackckackackackackack. Das ist, weil „Manie“ zwei Silben hat und „Ack“ nur eine. Deshalb mag ich „Ack“ auch lieber als „Manie“. Das habe ich auch mal meiner Mutter erzählt, dass ich einsilbige Worte am liebsten mag, aber ich glaube, sie fand das total komisch. Vielleicht war sie auch nur so komisch, weil kurz bevor ich sie fragte, Herr Eberhardt angerufen hat, wahrscheinlich damit sie wieder miteinander Unterlagen sortieren.
Serrano merkte, dass ich den Replikantentest mit der Dame am Nachbartisch durchführen wollte und sagte „Nein“. Wieso sollte er sonst einfach Nein sagen. Und dann strich er mir noch mal über den Kopf und hat mich ganz komisch angesehen. Vielleicht sehen Miguel und ich uns wirklich so ähnlich wie Zwillinge.
Denn wo wir auf der Rolltreppe waren, hat Serrano einmal aus Versehen „Miguel“ zu mir gesagt.
„Da vorne ist die Rolltreppe aus. Pass auf, dass du nicht stolperst, Miguel.“
Er hat es nicht einmal gemerkt. Ich meine wenn sich Erwachsene verplappern, dann sagen sie doch gleich immer:
„Oh, das habe ich gar nicht gemeint. Oh, das tut mir aber leid“. Oder so.
Serrano hat aber gar nicht gemerkt, dass er mich „Miguel“ genannt hat. Aber ich habe es schon gemerkt. Und darum darf er mir auch über den Kopf streicheln. Einmal wegen Miguel, der in diesem dämlichen Flugzeug gesessen ist und dann deswegen, weil ich immer noch meine, dass er ein Yoda ist.
Das weiß die Dame am Nachbartisch aber nicht. Sonst hätte sie bestimmt auch den Mund gehalten. Sie sieht nicht so aus, als ob sie sich für Yodas und imperiale Schlachtkreuzer interessiert. Deshalb hat sie sich total aufgeregt, dass Serrano mir dauernd über den Kopf streichelt, obwohl meine Mutter nicht weiß, dass ich hier bin. Sie hat übrigens keinen Schalter hinter dem Ohr, den man mit einer Kugelschreiberspitze auf „genervt“ schieben kann. Als Serrano „Nein“ gesagt hat, habe ich nämlich sofort auf meinen Plan B geschaltet. Man muss nämlich immer einen Plan B haben. Das habe ich von meinem Vater gelernt. Mein Vater sagt, dass man für alles einen Plan B braucht, wenn nämlich was schief
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