Die Elenden von Lódz
Flüchtlingen suchen, sich diesen vornehmen. Der andere Keller wurde ehemals als Geräteschuppen benutzt. Hier standen die Kohlenschaufeln, |263| auch Besen und Schneeschippen und eine alte Schubkarre, in der er Lida häufig umhergefahren hat.
Weit hinten in dem nunmehr leeren Geräteschuppen hat er ein Loch in den Boden gegraben, tief genug, damit der im Loch Stehende in dem Lichtstreifen nicht zu sehen ist, der durch die geöffnete Tür hereinfällt.
In dieser Grube bringt er Lida unter.
Anfangs widersetzt sie sich. Sie versteht nicht, warum sie völlig reglos in der eiskalten Erde stehen soll, inmitten von Spinnen und altem Kohlenstaub. Deshalb stellt er sich eine Weile zu ihr ins Loch. Singt für sie, und da wird es besser.
Sie kommen bedeutend früher, als Adam erwartet hat.
Er hört das aufgeregte Flöten der Hauswartsfrau, Frau Herszkowicz, draußen auf dem Hof:
Die Deutschen kommen, die Deutschen kommen …
Alle auf dem Hof Aufstellung nehmen, alle auf den Hof …
Heute ist Frau Herszkowiczs großer Tag. Sie hat ein dunkelbraunes Samtkleid angelegt, mit cremefarbenen Volants um das freigebige Dekolleté; dazu einen Hut, groß wie ein Wagenrad, mit einem im Hutband steckenden komplizierten Federschmuck. Wie sie glucksend auf dem Hof umherspringt, erinnert sie Adam an einen grellbemalten Fasan.
Er hält Lidas Gesicht zwischen seinen Händen. Will den Gesang in ihr zum Verstummen bringen. Nach einiger Zeit stehen sie in dem Loch, wie sie immer zu stehen pflegen: Er mit dem Arm um ihren Leib, sie mit dem Kopf auf seiner Schulter. Bruder und Schwester. Da sie größer ist als er, muss sie ihre Knie beugen, um zu ihm hinabzureichen; und als sie das tut und zugleich den Hals reckt, um den Kopf in seine Halsgrube zu betten, weiß er, dass er sie liebt und immer lieben wird mit einer Liebe, die vermutlich jenseits allen menschlichen Verstandes ist.
Die Deutschen werden von demselben kurzgewachsenen Mühlhaus angeführt, der die Säuberungsaktion beim Spital in der Wesoła leitete. |264| Wegen der Hitze hat er Handschuhe und Schirmmütze in die Hand genommen, während er die Reihe der von Frau Herszkowicz aufgestellten Mieter rasch abschreitet. Als Adam auf den Hof hinauskommt, hat SS-Hauptscharführer Mühlhaus bereits zwei seiner Männer ins Haus geschickt, um die noch nicht hier Angetretenen hinunterzutreiben. Frau Herszkowicz begleitet die beiden Uniformierten. Sie sieht es als ihre Pflicht an, über sämtliche ihrer Mieter Auskunft zu geben.
Adams Vater, Szaja Repin, ist einer der Letzten, die sich zu den bereits hier draußen Stehenden gesellen.
Neben ihm Mojsze und Rosa Pinczewski mit ihrer Tochter Maria.
Maria Pinczewska sieht völlig verstört aus. Laut Papier hat sie keinen Grund zur Angst. Seit drei Monaten arbeitet sie in einer Schneiderei, die Kragenspiegel und Aufnäher für die Wehrmacht herstellt. Hätte sie nur einen Bruchteil der Anbiederung gezeigt, die Frau Herszkowicz an den Tag legt, als sie die Deutschen durchs Hause führt, hätte sie vielleicht ihre eigene Nützlichkeit betonen und sich somit retten können. Fräulein Pinczewska ist obendrein jung und schön; blond und blauäugig, fast wie eine echte Arierin.
Schlimmer steht es um Samuel Wajsberg ebenso wie um Herrn und Frau Frydman aus dem Haus hinter dem Hof. Frau Frydman hat ihrer Tochter ein Kopftuch umgebunden, was sie bedeutend älter aussehen lässt. Neben ihr stehen Herr und Frau Mendel und deren Tochter. Nicht einmal der ansonsten so gründliche Mühlhaus interessiert sich für Herrn Mendels Arbeitskarte, er weist nur ungeduldig auf die rechte Seite des Baumstumpfs, der von Fabian Zajtmans großem Kastanienbaum übrig ist. Auf diese Seite müssen sich die zur Deportation Ausgewählten stellen. Auch Frydmans Kinder werden dorthin gebracht. Im selben Augenblick sackt Frau Frydman in den Armen ihres Mannes zusammen.
Samuel Wajsberg ruft nach seiner Frau Hala, die noch immer nicht aufgetaucht ist. Es klingt mehr wie ein Hilferuf.
Hala!
, schreit er.
Das Echo schlägt in langen Wellen zu den hohen verwitterten Hofseiten der Häuser hinauf.
Adam stellt sich neben seinen Vater.
|265| Szaja Repin starrt weiter vor sich hin.
Wo ist Lida?, fragt er am Ende, noch immer, ohne den Blick zu heben.
Adam schweigt. Und Szaja wiederholt seine Frage nicht.
HA-A-A-LAAA!
, ruft Samuel erneut.
Keine Antwort; nur das Echo rollt zurück.
Frau Herszkowicz lächelt ein viel zu breites Lächeln und zupft nervös an den
Weitere Kostenlose Bücher