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Die Elenden von Lódz

Die Elenden von Lódz

Titel: Die Elenden von Lódz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Sem-Sandberg
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Volants an ihrer Brust.
    Jetzt, endlich, tritt Hala Wajsberg auf den Hof hinaus. Sie schiebt ihren jüngsten Sohn Chaim vor sich her. Einen Schritt hinter ihnen folgt Jakub. Sie hat beide Söhne in frischgebügelte weiße Hemden, dunkle Hosen mit Aufschlägen und ordentlich gewienerte schwarze Schuhe gesteckt. Auch Hala ist korrekt gekleidet, trägt ein geradefallendes langärmeliges Kleid. Das Haar hat sie zum strengen Knoten im Nacken zusammengesteckt. Der hochsitzende Knoten lässt den ansonsten kräftigen Nacken und Hals seltsam verletzlich wirken. Ihre hohen Wangenknochen glänzen, fast so, als hätte sie ihr Gesicht mit Glanzcreme poliert.
    Nur ein paar Minuten sind vergangen, seit Adam neben seinen Vater getreten ist. »Auftrag erfüllt«, kann Frau Herszkowicz dem schneidigen Uniformierten mit seinen hohen schwarzen Stiefeln und glänzenden Kragenspiegeln stolz vermelden.
    Mühlhaus steht nun direkt vor Samuel Wajsberg, der in voller Länge fast einen Kopf größer ist als der Deutsche. Mühlhaus macht nicht einmal den Versuch, seinem Blick zu begegnen, streckt nur die Hand aus und wartet, bis ihm Samuel die Arbeitskarten der Familie gereicht hat.
    Dass der Truppführer keine Notiz von ihr nimmt, trotz all der Mühe, die sie sich seinetwegen gegeben hat, wird plötzlich zu viel für Frau Herszkowicz. Im Unterschied zu den meisten anderen Hausbewohnern entstammt sie einer besseren Familie und besitzt trotz ihrer jüdischen Herkunft eine gute polnische Ausbildung. Obendrein hat sie schließlich den ihr auferlegten Auftrag glanzvoll erledigt. Hat sämtliche Mieter dazu gebracht, ihre Wohnung rechtzeitig zu räumen. Hier stehen sie nun allesamt aufgereiht, ihre Arbeitskarten in der Hand. Gleichwohl hat der Mann nicht einmal in ihre Richtung geblickt.
    |266|
Hier drüben fehlt noch ein Familienmitglied
, sagt sie deshalb laut und vernehmlich auf Deutsch und weist auf Szaja und Adam Rzepin.
    Hauptscharführer Mühlhaus hebt den Blick von den Dokumenten in seiner Hand. Zum ersten Mal scheint er in vollem Maße zu begreifen, was die aufgedonnerte Frau ihm zu sagen versucht, und das lässt Frau Herszkowicz nervös werden:
Fräulein Rzepin hat sich vielleicht versteckt
, verdeutlicht sie und macht eine Bewegung, die wie ein Hofknicks hätte aussehen können, wären nicht die Rüschen des Kleides im Weg gewesen.
    Mühlhaus nickt. Mit einer zerstreuten Geste weist er die beiden ihm folgenden jüdischen
polizajten
an, die Verschwundene aufzutreiben; dann widmet er sich erneut Samuel Wajsbergs Dokumenten. Wenige Minuten später ist auch Lida Rzepin zur Stelle. Sie ist doppelt so groß wie die beiden sie tragenden Polizisten; ihre Beine baumeln schlapp vom Körper herunter, und ihr Gesicht ist von Kohlenstaub und Erde schwarz verschmiert.
    Guten Tag, meine Herren
, sagt sie achtlos und lässt die Arme hin- und herschwingen.
    Mühlhaus starrt sie an.
    Wo hattest du dich versteckt …?
, brüllt er, plötzlich voller Wut.
    Lida lässt die Arme weiter schwingen. Es ist, als wollte sie Anlauf nehmen, um sich in die Lüfte zu erheben.
    Mühlhaus tritt näher. Mit raschem Griff packt er sie beim Haar, reißt ihren Kopf zu dem seinen herunter und schreit ihr direkt in ihr aufgelöstes Gesicht:
     
    WO HATTEST DU DICH VERSTECKT!
     
    Lida aber lächelt nur immer weiter und schwingt die Arme.
    Mühlhaus wedelt mit der Dienstwaffe; dann schießt er dem Mädchen mit einem Ausdruck grenzenlosen Ekels zweimal in den Kopf.
    Macht rasch einen Schritt zurück.
    Und Lida fällt. Es ist ihr letzter Fall.
    Aus ihrem Hinterkopf sprüht ein Regen aus Blut und Hirnsubstanz.
     
    |267| Nach den Schüssen bricht Panik aus. Die Frauen schreien gellend, und die Männer versuchen sie zu übertönen. Die beiden sorgfältig getrennten Gruppen – jene, die ausgesondert wurden, um auf den Anhängern fortgebracht zu werden, und die Übriggebliebenen – drohen wieder miteinander zu verschmelzen, weshalb die beiden jüdischen Polizisten nun auf eigene Initiative tätig werden und die Leute etwas unbeholfen knuffen und auf sie einschlagen, um sie getrennt zu halten.
    Als hätte er plötzlich die Geduld mit der ganzen Sache verloren, tritt Mühlhaus ein paar Schritte zurück; zeigt dann mit seiner blutbespritzten Hand rasch auf ein paar weitere Personen, die man zur Seite treiben soll. Die Wahl fällt auf die alte Frau Krumholz und nach einem kleinen flüchtigen Lächeln auch auf die blonde, blauäugige Maria Pinczewska.
    Nach ihr auf Chaim Wajsberg.
    Nur

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