Die Elenden von Lódz
die Seiten mit Blumengirlanden verziert, zurückgekehrt, den sie Staszek übergab. Zeichne mir eine Karte von Palästina, hatte sie gesagt, und setz dann die Namen aller Städte, Flüsse und Seen von Judäa und Samaria ein, an die du dich erinnerst. Staszek hatte mit Palästina angefangen, wie das Land aussah, wusste er ja –
Erez Israel
–, doch innerhalb dessen Grenzen zeichnete er keine Städte und Seen, sondern Schakale, Skorpione, Wüstenratten und andere Tiere mit Hörnern, Schwänzen und scharfen Zähnen.
Dann zeichnete er Deutsche –
viele
Deutsche, weil es ja so viele davon gab.
Die äußeren Attribute waren leicht: Gendarmen in ihren feldgrauen Uniformmänteln und mit Stahlhelmen, die bis in den Nacken reichten; und dann die
anderen
Soldaten, die mit den glänzenden schwarzen Autos gekommen waren und lachend dagestanden hatten, als sie Kantor Kohlman am Baum festnagelten – die mit den Totenköpfen an der Uniformmütze und mit Punkten statt Streifen auf den Uniformeffekten.
Von der Zagajnikowa, der breiten staubigen Ausfahrtsstraße unterhalb des Grünen Hauses, hatte man tagtäglich sehen können, wie die Deutschen am Radogoszcz-Tor Wache hielten. Er zeichnete Stacheldraht, einen hohen Wachturm und wenigstens zwei Posten, die Dokumente kontrollierten und den Schlagbaum hoben und senkten, jedes Mal wenn ein Warentransport hindurchfuhr. Er versuchte sich zu erinnern, wie es damals gewesen war, als der Regen vor den wenigen noch brennenden Straßenlaternen gehangen hatte und alle Juden im Dorf aus ihren Häusern geholt und zu dem Platz vor der Kirche getrieben worden waren. Doch das Einzige, woran er sich tatsächlich erinnerte, war der Mann, von dem die Soldaten gesagt hatten, er habe fliehen wollen, und den sie mitten auf den Kirchplatz geschleppt hatten, und er erinnerte sich an das Gesicht des Soldaten, der ihn geschlagen und getreten hatte und immer weiter schlug und trat, obwohl der Mann gänzlich still dalag. Und das Gesicht des schlagenden und tretenden Soldaten sah genauso aus wie das Gesicht dessen, der am Boden lag und getreten und geschlagen wurde. Beider Gesichter glänzten vom Regen, waren verzerrt und voller Schatten. Deshalb wurden auf dem Bild, das er malte, als Einziges die nackten weißen Fußsohlen richtig deutlich, |314| die aus dem schlammigen Kleiderbündel ragten, das von dem Mann noch übrig war: nackte weiße Fußsohlen und ein kaputtgetretener Körper und ein rasendes, aufgelöstes Soldatengesicht, das ebenfalls so aussah, als hätte jemand hineingetreten.
Nachdem er dem Flaschenjungen begegnet war und all dessen fantastische Geschichten gehört hatte, begann Staszek andere Dinge als Deutsche zu zeichnen. Er zeichnete eine Heerschar von Engeln, die über einer Stadt aus Stacheldraht und hohen Mauern umherflog. Die Engel waren für die deutschen Posten in ihren Wachtürmen unsichtbar, obgleich der Himmel über ihnen voller Racheflammen stand. Manche der Engel am Himmel trugen sogar
schojfer -Hörner
, in die sie hineinbliesen, so dass Mauern und Zäune brachen, doch die Posten bemerkten nichts.
Mitunter, wenn er beim Zeichnen gesessen hatte, war Fräulein Smoleńska vorbeigekommen und hatte ihm mit der Hand über den Nacken gestrichen. Das tat Frau Regina niemals, obwohl sie das, was er zeichnete, ebenso sorgfältig verfolgte, wie es Fräulein Smoleńska getan hatte, auch sie hatte ein breites dickes Lächeln im Gesicht, das die ganze Zeit da war. Doch nie berührte sie Staszek oder sagte etwas zu ihm, außer dem Notwendigen, oder dem, was die Pflicht verlangte – etwa, was er in der Schule gelernt oder ob er sich ordentlich benommen habe, damit sein Vater oder Mosze Karo oder übrigens auch die Haushälterin Frau Koszmar (
Madame Cauchemar
, wie Frau Regina sagte) sich nicht für ihn zu schämen bräuchten. Alles, was Frau Regina sagte, handelte vom Schämen.
Mitten im Zimmer, in dem der Älteste gewöhnlich seine Empfänge veranstaltete, stand jetzt eine große kopflose Schneiderpuppe, und zu dieser Puppe gehörte ein Privatschneider namens Meister Hinzel, ein dürrer, kurzgewachsener Mann mit Wachs in den Ohren und dem Mund voller Nadeln, der gekommen war, um für Staszeks Bar Mizwa einen Anzug zu nähen. Meister Hinzel heftete verschiedene Stoffstücke an die Schneiderpuppe, und Frau Regina und Prinzessin Helena gingen rundherum und begutachteten sie. Mitunter musste Staszek selbst Modell stehen, und dann hefteten sie auch ihn fest, als wäre er ebenfalls aus
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