Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Elenden von Lódz

Die Elenden von Lódz

Titel: Die Elenden von Lódz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Sem-Sandberg
Vom Netzwerk:
angrenzende Häuser und Anbauten ebenfalls Feuer gefasst hätten, darunter ein Brennholzlager, und dass sie den Brand keinesfalls löschen könnten, wenn sie nicht Zugang zu einem Hydranten erhielten, der sich fünfundzwanzig Meter außerhalb der Gettogrenze auf
arischem Gebiet
befand. Könnte man in diesem Fall vielleicht eine Ausnahme bewilligen?
    Eine halbe Stunde später kam der Bescheid. Kaufmans Ansuchen war bewilligt worden.
    Eine weitere halbe Stunde später: Holzumzäunungen und Stacheldrahtverhaue entlang der Wolborska wurden abgerissen, und kurz darauf war es, als durchfahre ein gewaltiger Stoß die etwa hundert in der Wohnung des Ältesten versammelten
dygnitarzy
:
    Auch die Deutschen nehmen an der Löschaktion teil …!
    Staszek sah vor sich, wie deutsche Feuerwehrleute mit Brecheisen und Feuerhacken auf brennende Türen losgingen und ganze Armeen von Feuerwehrkräften unter Balken hineinführten, die in einem Funkenregen auf sie herabstürzten. Zum ersten Mal seit fast vier Jahren waren die Grenzen des Gettos offen, und deutsche, polnische und jüdische Feuerwehrleute kämpften Seite an Seite.
     
    Die Ursache des Brandes konnte allmählich geklärt werden:
    Als das Spital nach der Septemberaktion zur Holz- und Kleinmöbelfabrik umfunktioniert worden war, hatte niemand daran gedacht, dass sich der Patientenaufzug kaum als Lastenaufzug eignete, ohne dass die Stromanlage verstärkt würde. Aufgrund der extremen Belastung war es |320| zu einem Kabelbruch gekommen, wobei ein Funke die Fabrik angezündet hatte.
    Von dort aus griff der Brand auf ein Lagergebäude über, in dem 3500 gerade hergestellte Kinderbetten auf den Abtransport ins Reich warteten. Der Feuerwehrchef von Litzmannstadt räumte später ein, dass ohne das geistesgegenwärtige Eingreifen der jüdischen Feuerwehrleute nicht nur die baufälligen Holzhausviertel des Gettos in Flammen aufgegangen wären, sondern auch lebenswichtige zivile und militärische Einrichtungen im Zentrum der Stadt und damit Werte in Höhe mehrerer Millionen Mark. Bei einer zwei Monate später im Kulturhaus stattfindenden Zeremonie erhielten die Feuerwehrleute, die überlebt hatten, eine Verdienstmedaille mit einer besonderen Prägung des Ältesten (sein Gesicht im Profil vor einem stilisierten Bild der höchsten hölzernen Brücke), und bei der folgenden Rede war der Präses darauf bedacht, die Leistung jedes einzelnen Feuerwehrmanns für die Rettung und Bewahrung des Gettos ganz besonders hervorzuheben:
     
    Unablässig erlegt der Herr und Gott Israels seinem Volk neue Prüfungen auf. Es gibt jene, die diese ihnen auferlegten Prüfungen überleben, und jene, die untergehen … Derart werden alle Juden des Gettos geprüft werden; und nur, wer für würdig befunden wurde, wird an dem Tag dabei sein, wenn Jerusalems Tempel aufs Neue aus den Ruinen ersteht …!

 
    |321| Staszek gefiel es, mit den Männern zusammen zu sein, die sich an Festtagen im Haus des Ältesten versammelten. Männer wie Jakubowicz, Reingold, Kligier und Miller. Ihm gefielen deren entschlossener Ernst, ihr gedämpftes Räuspern und ihr zögerlicher Tonfall, wenn sie mit abgewandten Rücken dastanden. Vor allem gefiel ihm Mosze Karo, der Mann, von dem es hieß, er hätte ihn damals gerettet, als die Transporte mit den Kindern und den »wahnsinnigen« Müttern aus Brzeziny und Pabianice eingetroffen waren und die Deutschen gedroht hatten, alle fortzuschaffen und zu erschießen.
    Eines Tages, als lediglich ein paar Monate bis zu seiner Bar Mizwa fehlten, nahm ihn Mosze Karo zu der alten Talmudschule in der Jakuba mit, in der die heiligen Bücher aufbewahrt wurden. Von Rozenblats Männern, die hier rund um die Uhr Wache standen, erhielt Herr Karo einen Schlüsselbund, und dann führte er Staszek durch einen engen Seitengang zu einer Galerie im zweiten Stock, deren Wände gänzlich mit Holz verkleidet waren. Hinter einem schwarzen Samtvorhang verbarg sich eine eisenbeschlagene Tür. Karo zog den Vorhang beiseite und probierte mehrere Schlüssel aus, bevor er das Türschloss zu guter Letzt aufbekam. Im Schein einer nackten Glühlampe zeichneten sich an Wänden und auf Regalen lange Reihen von Torahüllen und Gebetbüchern ab. Einige der Torarollen waren so stark verbrannt, dass sie sich kaum öffnen ließen. Zwei von ihnen, erklärte Karo, stammten aus der
Altschtot
-Synagoge in der Wolborska; andere aus der sogenannten
Wilker schul
auf der Zachodnia, einer der ältesten Synagogen in Łódź und zugleich

Weitere Kostenlose Bücher