Die Elenden von Lódz
genügend Kraft und daheim ausreichend zu essen hatten. Auch Aleks tauchte zuweilen auf. Er sagte, er könne nicht auf Věra verzichten, und er musste die Arbeit mit den Büchern meinen, beim Hacken, Graben und Unkrautrupfen war er jedenfalls keine große Hilfe, trotz all der Erfahrung, die er nach eigenen Worten von früher her hatte. Josel und Martin fertigten eigene Geräte an. Aus einem Stück Dachblech bog Martin einen einfachen Spaten. Ein langer Holzknüppel mit ein paar Nägeln am Ende wurde zur Harke. Sie säten Spinat und Radieschen, steckten natürlich Kartoffeln; doch auch für Weiß- und Rotkohl und für Rote Beete wurde gesorgt, deren Kraut sich ebenfalls essen ließ.
Botwinki
wurde es im Getto genannt. Wasser bekamen sie aus einer Sprinkleranlage, bestehend aus einer Handvoll Eisenrohre, verbunden mit einer Eisenwanne, die Martin einem der Vorarbeiter im Getto-Altmaterialressort hatte abkaufen können. Der erschwingliche Preis war vermutlich dem fehlenden Wannenboden geschuldet. Nachdem Martin den Boden mit einem zurückgelassenen Topfdeckel abgedeckt hatte, hievten sie die Wanne auf einen Holzbock, den sie im Schuppen vorgefunden hatten. Dann bohrten sie von der Unterseite her ein kleines Loch in den Holzbock, durch das sie ein Metallrohr führten. Anschließend brauchte man die Wanne nur noch mit Wasser zu füllen, das sie aus Trögen und Tonnen holten, die vor anderen
działki
standen. Wenn es an der Zeit war, die Sprinkleranlage anzustellen, kletterte Martin mit einer langen Eisenstange, an deren Ende ein Haken saß, auf die Mauer und hob den Deckel ein paar Zentimeter an, so dass das Wasser aus der Wanne in das Rohr lief, wo es aus jedem kleinen, schlecht abgedichteten Spalt und Riss leckte.
Mit der Zeit kamen Kinder herbei, um ihnen bei der Arbeit zuzuschauen. Kleinere Kinder, im Höchstfall fünf bis zehn Jahre alt; manche von ihnen überraschend sauber und gutgekleidet. Insbesondere ein Junge |400| war hier, etwa achtjährig, er trug einen gerippten Strickpullover, der ihm kaum bis zur Taille reichte, eine knielange kurze Hose und abgewetzte
trepki
derselben Sorte, wie sie alle Gettokinder trugen, ohne Rücksicht auf Jahreszeit oder Wetter. Er brachte ein halbes Dutzend Kameraden mit, ältere und jüngere, die sich um ihn wie um einen natürlichen Anführer scharten. »Das sind Kinder reicher Leute«, sagte Aleks, als er an einem Sonntag zu Besuch kam. »Kinder der
kierownicy
. Einmal ist es den Eltern bereits geglückt, ihnen das Leben zu retten. Nun wagen sie es nicht mehr, die Kinder bei sich in der Stadt zu behalten.«
Eines Tages, als die Kinder wie üblich im Kreis um die Gartenmauer saßen, tauchten zwei Männer der Sonder auf und baten, Arbeitskarten sowie Besitz- und Zulassungsnachweise einsehen zu dürfen. Martin reichte ihnen den Brief der Landwirtschaftsabteilung, und beide Polizisten beugten sich darüber, brummelten und wippten auf den Fersen. »Das scheint in Ordnung zu sein«, sagte der Ältere der beiden, faltete das Papier zusammen und gab es zurück. »Ihre Feldfrüchte werden Sie aber bestimmt nicht sehr lange für sich haben.« Letzteres erklärte er mit einem Nicken in Richtung Mauer, wo der Junge im gerippten Wollpullover nun aufgestanden war, um möglichst zu sehen, um was für ein geheimnisvolles Papier es sich wohl handelte, das die Polizisten zwischen sich hin- und hergehen ließen.
»Der fünfte Polizeibezirk ist ein großer Bezirk, schwer zu überwachen«, sagte der andere Beamte. »Speziell solche kleinen
diałki
kommen nicht ohne extra Aufsicht aus.«
»Wie viel?«, fragte Martin, der sofort verstanden hatte, worauf das Gespräch hinauslief.
Der ältere Polizist warf einen abschätzenden Blick über die Mauer, legte dann die Stirn in tiefe Falten und kalkulierte:
»Ein Stück Boden dieser Größe liegt normalerweise bei rund fünfzig Mark.«
»Pro Saison?«, fragte Martin.
»Pro Woche«, erwiderte der Polizist. »Wir akzeptieren keine länger laufenden Verbindlichkeiten. Weder Sie noch ich können schließlich mit Gewissheit sagen, was hier im Getto in der nächsten Woche passiert, oder?«
Am Ende aber ließen sie sich doch auf einen geringeren Preis ein, und |401| obgleich sie etwas davon knurrten, dass es viel zu wenig sei, kamen die Polizisten den ganzen Herbst über und halfen sogar mit, den Boden vom Unkraut zu befreien und umzugraben und später beim Ernten der ersten Kartoffeln. Der eine nannte sich Gorek und erzählte, dass er sich hauptsächlich
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