Die Elenden von Lódz
Samuel Wajsberg sollte später sagen, dass er fast nichts über diesen Kutner gewusst hat – lediglich, dass er in der Abteilung von Serwańskis Möbeltischlerei arbeitete, die Türstürze und Fensterrahmen produzierte. Die Polizistenkette hat sich ein paar Schritte vorwärtsbewegt, wie um jeden Versuch der anderen Arbeiter, gegen die Abführung zu protestieren, zu unterbinden. Niemand aber protestiert, und kurze Zeit später werden alle hier Tätigen aufgefordert, an ihre Arbeit zurückzukehren.
Ein Stück von dem Arbeitstisch entfernt, an dem Samuel die breite Hobelmaschine mit Holz füttert, steht ein Grüppchen Arbeiter zusammen. Sie reden miteinander und zeigen in seine Richtung. Nach den Sätzen zu urteilen, die er aufzuschnappen vermag, sprechen sie nicht über ihn, sondern über Jakub und die gestrige Vorstellung der Theatertruppe.
Er hört, wie sie sich fragen, woher Jakub wohl all den Stoff und das andere Material für seine Puppen habe, wo Holz und Gewebestücke im Getto sonst kaum aufzutreiben seien.
Da erbittet Samuel vom Aufseher die Erlaubnis, den Hobel kurzzeitig verlassen zu dürfen; er geht auf den Hof hinaus, um Jakub zu suchen. Der Nebel ist jetzt weggebrannt. Überall knallt die Sonne auf geschnittenes und nackt daliegendes Holz herunter, aus dessen offenen Schnittflächen Harz rinnt.
Doch kein Jakub in Sicht.
Samuel sagt sich, dass er wohl wieder mit seinem Karren unterwegs ist, und das Herz schnürt sich ihm in der Brust zusammen. Nachdem er fünf Minuten vergeblich gewartet hat, kehrt er zu seinem Platz an der Hobelmaschine zurück.
Sie gehen gemeinsam heim, Vater und Sohn.
Samuel fragt Jakub, ob man ihn nach der Aufstellung auf dem Hof aufgefordert habe, Fragen zu irgendeinem Holzschwund zu beantworten. Jakub schüttelt den Kopf. Doch er geht schweigend, mit gesenktem |467| Kopf. Und den Sack mit den Puppen trägt er nicht wie sonst übermütig über die Schulter geworfen, sondern presst ihn zwischen die Beine, fast als schäme er sich dessen.
Am nächsten Morgen wird Samuel zum Fabrikleiter gerufen.
Das letzte Mal hat sich Samuel über die Schwelle von Serwańskis Büro gewagt, als er um eine Arbeit für Jakub gebeten hat. Bei jener Gelegenheit hat er gesagt, er sei stolz auf Jakub, weil der so geschickt mit Hammer und Meißel umgehe. Zweifellos habe er das von seinem Onkel geerbt, dem bekannten Puppenschnitzer Fabian Zajtman.
Keiner von beiden erinnert sich nun an dieses Gespräch.
Serwański räuspert sich und sagt dann, er werde Samuel genau sagen, wie die Sache stehe. Dass Herr Kutner, den die Sonder unlängst in Gewahrsam genommen habe, einer seiner besten Arbeiter sei, ein äußerst tüchtiger Ingenieur, auf den er
unter keinen Umständen verzichten könne.
Dann gebe es da noch dieses Problem mit dem jungen Herrn Jakub und dem Gefühl der »Peinlichkeit«, das die anderen Tischlereiarbeiter wegen dessen Purimvorstellung empfunden hätten, und ob Herr Wajsberg sich vorstellen könne, einem Austausch zuzustimmen? Ob sein Sohn Jakub nicht an Ingenieur Kutners Stelle treten könne?
Sie müssen versuchen mich zu verstehen, Herr Wajsberg,
sagt er und schaut Samuel an, als erwarte er tatsächlich, dass dieser verstehen würde,
die Behörden verlangen, dass ich für die Arbeitsreserve im Zentralgefängnis vierzig gesunde, kräftige Arbeiter zur Verfügung stelle. Wie soll ich bei den jetzt herrschenden hektischen Produktionsbedingungen auf vierzig Leute verzichten? Ich weiß nicht mehr ein noch aus.
In Samuel Wajsbergs Lunge schmerzt der Abdruck des Stiefels, der ihn einst getreten hat. Er weiß nicht, was er sagen soll.
Aber ich habe bereits ein Kind verloren, Herr Serwański.
(Derartiges sagt man einfach nicht.)
Aber Serwański hat auch auf das Ungesagte eine Antwort:
Wenn Sie Ihren Sohn nicht schicken, müssen Sie selbst an Kutners Stelle treten, Herr Wajsberg. Sie haben ja obendrein von früher her dieses Lungenproblem.
|468| Jetzt lächelt Herr Serwański; das Schwierige ist erledigt. Er erklärt, es würden Papiere kommen. Von Herrn Wajsbergs Seite brauche es keine »unangenehme Verabschiedung« zu geben. Obendrein seien die Arbeitsbedingungen in Częstochowa, wohin die 1500 Arbeiter, wie angegeben, gebracht werden sollen, als wirklich annehmbar beschrieben worden. Und bald sei der Krieg ja ohnehin vorbei. Und dann wären sie ja wieder vereint, die ganze Familie. Herr Wajsberg könne sich außerdem damit trösten, dass er nicht der Einzige sei. So ein
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