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Die Elenden von Lódz

Die Elenden von Lódz

Titel: Die Elenden von Lódz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Sem-Sandberg
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alles.
    Ältester:
Welcher Liste?
    Samstag:
Die Liste Eurer Kinder – Eurer echten Kinder!
Ich bin ein eheliches Kind, ein echtes Gettokind!
    |489| (Das siehst du ja wohl: Hab keine Haut mehr, keine Nase, keine Wangen – Ich gleiche Euch! Keiner, der mich sieht, könnte eindeutig sagen –
    Bin ich Feind oder Freund?
    Gut oder böse?
    Stammt man aus guter Familie oder nicht.
    Ist man Jude – oder nicht!)
    Auch Ihr, Herr Präses, müsst lernen, FEIND von FREUND zu unterscheiden –
    Könnt Euch nicht an alle und jeden zugleich wenden.
    Deshalb muss eine LISTE aufgestellt werden. Wem die Gunst zukommt, Euch zu folgen, und wer zurückgelassen wird?
    Ältester:
Und wenn ich sterbe? Wenn ich auf dem Weg erschlagen werde?
    Samstag:
Ihr könnt nicht sterben – Ihr seid doch mein Vater! (Obendrein habe ich persönlich Maßnahmen ergriffen, um die Verantwortlichen für dieses widerwärtige Komplott gegen Euch festzunehmen und einzusperren.)
    Außerdem tot oder nicht tot – was spielt das für eine Rolle?
    Diejenigen, die Euch das Schlimmste wünschen, sagen, Ihr seid bereits tot gewesen, als Ihr den ersten Schritt in dieses Getto machtet –
    Pan Śmierć? Seid Ihr das?
    In diesem Fall sind wir alle hier im Getto Kinder des Todes.
    Jetzt stehen wir hier und warten darauf, dass Ihr uns hinausführt.
    Wir rufen:
Vater! Gebt uns einen Beweis für Eure Unsterblichkeit! Rettet Eure Kinder – und Ihr rettet auch Euch selbst!

 
    |490| Adam Rzepin hatte geglaubt, man würde ihm versuchten Mord, auf jeden Fall Aufwiegelung vorwerfen, und falls man ihn nicht sofort totschlug, dann würde man ihn ins »Kino« des Zentralgefängnisses schaffen, um die Wahrheit Stück für Stück aus ihm herauszuprügeln, wie es Shlomo Hercberg stets zu tun pflegte. Doch der neue Gefängniskommandant hatte keine Vorliebe für die von Hercberg angewandten Methoden. Werner Samstag fiel es nicht schwer, sich persönlich in die GRUBE zu begeben oder mit seinen Gefangenen auf recht vertrautem Fuß zu verkehren. Bei seinen Besuchen umgab ihn stets ein ganzer Schwarm
polizajten
, und allesamt waren sie derart erpicht darauf, ihren Vorgesetzten zu beeindrucken, dass sie die Anweisung ihres Anführers nicht einmal abwarteten, sondern den PRÄSESMÖRDER umgehend gegen die Wand drückten, ihm mit den Knien in Bauch und Unterleib stießen und ihn traten, bis er am Boden lag und nach Luft schnappte.
    Von diesen
Helfern
, wie Samstag sie nannte, kam Adam zu Ohren, dass polnische und jüdische Ärzte nun um das Leben des Ältesten kämpften. Obendrein, dass Biebow mit Bradfisch erwogen hätte, wie schon im August 1940 Spezialeinheiten herzuschicken, um den Aufruhr bereits im Keim zu ersticken, und dass, wenn es so weit käme, der junge Rzepin nicht nur das Leben des Präses auf dem Gewissen hätte, sondern letztendlich die Verantwortung dafür trüge, ob die noch hier lebenden 80   000 Juden des Gettos deportiert würden oder nicht.
    All das waren Erfindungen, das aber wusste Adam Rzepin natürlich nicht.
    Erst, nachdem die Helfer diese Beschuldigungen erhoben hatten, trat Werner Samstag in die Zelle. Von dem nun folgenden Verhör blieb Adam nur das unentwegt blanke Lächeln in Erinnerung, mit dem ihm der neue Gefängniskommandant begegnet war. Ausschließlich Zähne, kein Mund. Es war, als würde man vom Tod selbst verhört:
     
    |491|
Samstag:
Bist du groß oder klein, Rzepin?
    Adam:
Wie bitte?
    Samstag:
Bist du ein großer oder ein kleiner Rzepin?
    Helfer:
Ist dein Name Adam oder Lajb?
    Adam:
Ich heiße Adam …
    Helfer:
Wir wissen, wie du heißt. Bist du groß oder klein?
    Adam:
… Rzepin.
    Helfer:
Das hast du schon gesagt. Wie heißt dein Onkel?
    Adam:
Lajb. Mein Onkel heißt Lajb …
    Samstag:
Wann hast du ihn das letzte Mal getroffen? Wir wollen wissen, wo er ist, wen er auf seiner Liste hat.
    Helfer:
Gib uns die Namen dieser Bolschewiken – dieser Mörderlakaien – gib sie uns, und du kommst hier raus!
    Samstag:
Wir wissen bereits alles über dich –
    Welchen Preis du bereit warst zu bezahlen, das letzte Mal, als du rausgekommen bist.
    Erinnerst du dich, Adam Rzepin?
    Dein Onkel Lajb ist damals gekommen und hat dich freigekauft.
    Und der Preis war deine eigene Schwester.
    Helfer:
Wann hast du deinen Onkel Lajb zuletzt gesehen?
    Samstag:
Du steckst bis zum Hals drinnen, Adam.
    Es gibt über all das Dokumente: den Brief der Aussiedlungskommission;
    Shlomo Hercbergs Befreiungsschein – ausgeschrieben auf deinen Namen;
    die Unterschrift deines Onkels

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