Die Elfen 01 - Vor der Elfendämmerung
diplomatischen Gründen kleine Türen für den Flügel geplant, der den Zwergen zugedacht war. Es war ein Detail, das mithalf, sie zu beschwichtigen. Niemals würde ein menschlicher oder elfischer Krieger mit üblen Absichten in die königlichen Gemächer eindringen können, ohne sich ganz gefährlich zu bücken und dabei seinen Nacken den Äxten der Bewacher des Königs darzubieten.
Ein weiterer Posten im Inneren machte dem Ritter ein Zeichen einzutreten.
In einen großen Sessel dicht beim Kamin versunken, schien König Baldwin der Alte halb eingeschlafen, verloren blickte er auf das Spiel der Flammen. Auch der Zwerg Tsimmi war anwesend und Miolnir grüßte ihn mit einem kurzen Lächeln. War der Meister der Steine etwa auch erwählt worden? Als der Posten hinausging und die Tür der königlichen Gemächer hinter sich schloss, hallten das Quietschen der Tür und das laute Einrasten des Schlosses in dem riesigen, in seiner Leere und Dunkelheit einer Grotte gleichenden Steinsaal wider, ohne dass der alte König auch nur mit der Wimper zuckte.
»Hier bin ich, König Baldwin«, sagte der Ritter nach einer Weile in der Absicht, den Herrscher aufzuwecken.
»Ich weiß, ich habe dich gehört«, antwortete dieser und schüttelte sich (aber Miolnir hatte doch den Eindruck, ihn geweckt zu haben). »Schön ... Ich nehme an, du weißt, warum du hier bist?«
»Ich glaube, verstanden zu haben, dass es um eine Expedition ...«
»Wusste ich’s doch!«, grummelte Baldwin. »Man könnte wirklich meinen, dass die Zwerge unfähig sind, ein Geheimnis für sich zu behalten. Unfähig!«
Er machte eine schicksalsergebene Handbewegung. Es stimmt schon, dass der übertriebene Hang der Zwerge zum Klatsch ihnen schon mehr als einmal zum Nachteil gereicht war ...
»Wenn ich dich hergerufen habe, und ebenso Tsimmi, so früh am Morgen, dann weil es Dinge gibt, die ihr wissen müsst, alle beide, bevor ihr abreist.«
Der Ritter ging um den massiven Thron des Königs herum und hockte sich nah ans Feuer. Erst da bemerkte er die Gegenwart eines hoch gewachsenen Zwerges, der wie ein Page gekleidet war, und seine mit Entrüstung gemischte Überraschung entging dem König keineswegs.
»Friede, Ritter. Dieser Zwerg ist kein Page, und sein Blut mindestens ebenso edel wie das deine. Es ist nicht ehrlos, neben ihm zu sitzen, das werdet ihr beide gleich verstehen ... Aber zunächst muss ich euch enthüllen, was ich vor dem Großen Rat nicht gesagt habe.«
Wieder schien Baldwin bei halb geschlossenen Lidern eingeschlafen oder in tiefes Nachdenken versunken zu sein.
»Der Elf Gael hat nicht nur ein silbernes Kettenhemd geraubt«, brummte er plötzlich mit seiner leiernden, kehligen Stimme. »Ich halte ihn übrigens auch nicht für so verrückt, dass er den Berg betritt, nur um einen silbernen Panzer zu erstehen. Der alte Troin, Friede seiner Asche, hätte ihn für weniger als das ganz schnell ins Jenseits befördert! ... Nein, sein Verbrechen wiegt sehr viel schwerer. Gael hat das Schwert von Nudd gestohlen.«
Der Krieger erbebte. Das Schwert war laut einer der ältesten Legenden des Volks unter dem Berg von der Göttin selbst Dwalin anvertraut worden, dem ersten König der Zwerge, dessen Namen die Tradition bewahrt hatte, und es diente unter dem Schwarzen Berg als Szepter und Symbol des Königtums.
Aber es war noch mehr als das. Genau wie der Kessel der Elfen oder der Stein von Fal, war Caledfwch, »Tiefe Kerbe«, das Heilige Schwert der Zwerge, der Talisman des gesamten Volks und der Garant seines Überlebens. Das Schwert von Nudd zu stehlen hieß, die Seele der Zwerge zu stehlen und ihr ganzes Geschlecht dem Vergessen zu überantworten.
Die Legende besagt, Caledfwch sei zu Anfang ein simples goldenes Schwert gewesen, dessen Klinge auf einen Griff aus Eiche gezogen war, dem Baum der Stärke. Dwalins Sohn, und nach ihm all seine Nachkommen, die König unter dem Berg wurden, hatten seine Klinge mit dem schönsten Edelstein ihrer Herrschaftsdauer geschmückt und die Einarbeitung ihren besten Goldschmieden überlassen. Im Laufe der Jahrhunderte und dank all der am abendlichen Feuer erzählten wunderbaren Geschichten war das Schwert von Nudd so zu einem der vermutlich wertvollsten Schätze des ganzen Königreichs von Logres geworden.
Kaum einer hatte es je mit eigenen Augen sehen dürfen. Miolnir kannte es nur vom Hörensagen, und selbst Baldwin, der doch königliches Blut in den Adern hatte und Troi'ns Vetter war, hatte es nie in die Hand nehmen
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