Die Elfen 01 - Vor der Elfendämmerung
seines Plans eine fieberige Erregung gepackt hatte, den Erklärungen und Warnungen der alten Frau kaum Gehör schenkte. »Meister Blade, bitte, hört mir genau zu!«, sagte sie schon zum zehnten Mal.
Der Dieb nickte geistesabwesend, während er vor einem der wenigen Fenster des Zimmers stand, das von den kleinen Scheiben aus trübem gelbem Glas in schummriges Licht getaucht wurde. Gedankenverloren ließ er seinen Blick von neuem über das Gewimmel in der Gasse unten gleiten, die durch das milchige Glas nicht deutlich zu erkennen war. Dann hob Blade die Augen zum Himmel, das heißt zu dem kleinen hellen Fleck, der davon zu sehen war. Es war schon ziemlich spät. Bis zum Einbruch der Nacht würden ihnen nur ein paar Stunden Wegs bleiben, aber morgen um die Mittagszeit wären sie in den Marken.
Bis jetzt hatte Blade blind dem Seneschall gehorcht, der den goldenen Ring der Gilde trug, genau, wie die alte Mahault ihm gehorchte, ohne zu zögern oder zu fragen. Außerdem hatte er gar keine andere Wahl gehabt, als den Befehlen nachzukommen: sich auf die eine oder andere Weise der Truppe anzuschließen und die gesammelte Macht der Gilde zu nutzen, um Gael vor ihr zu finden. Und zu töten.
Aber nichts würde ihn daran hindern, bei derselben Gelegenheit einen hübschen Coup zu landen ... Was sollte ihm das schaden, solange er seine Mission erfüllte?
Blade musste lächeln, als er an den exorbitanten Preis dachte, den der Graue Elf für das in Ghâzar-Run gewirkte Panzerhemd gefordert hatte: hundert Silberdukaten. Ein Vermögen. Genug, um in einem anderen Königreich eine neue Existenz zu beginnen, weit fort von allem, und wie ein großer Herr zu leben. Und dann, wenn er sich dort in den Sümpfen nur geschickt genug anstellte, würde er vielleicht den doppelten Gewinn einstreichen, das Gold behalten und das Kettenhemd dazu?
Er lachte kurz auf, worauf Mahault aufschreckte. Sie musterte ihn mit einer Mischung aus Misstrauen und Furcht. Würde er mit ihr teilen müssen? Zweifellos. Das war das Gesetz der Gilde. Aber hatte er nicht bereits das heiligste all ihrer Gesetze verletzt, indem er Thane de Logres ermordet hatte?
»Ist alles bereit?«, fragte er, ein möglichst offenes Lächeln auf den Lippen.
»Ich habe meine Befehle erteilt«, erinnerte ihn die Alte. »Du wirst dein Pferd, deinen Proviant und deine Waffen bald haben. Man gibt uns Bescheid.«
»Gut. Dann tu mir noch einen letzten Gefallen. Kannst du schreiben?«
Mahault zuckte die Achseln. Wofür hielt er sie denn, das Jüngelchen? Natürlich konnte sie schreiben, das war in ihrem Beruf unabdingbar. Und sie sprach zehn verschiedene Sprachen, darunter das Geschnatter der Gnome und das scheußliche Geknurr der Dämonen.
»Dann wirst du unserem Obersten eine Nachricht zukommen lassen, mit dem Siegel von Beorn darauf.«
»Und wohin schicke ich sie?«
»Das brauchst du nicht zu wissen. In meinem Gepäck befinden sich drei Brieftauben. Benutze sie, sie werden ihn finden. Und lass kein einziges Detail aus. Sage ihm, dass ich in einer Woche, maximal in zehn Tagen zurück bin, und dass seine Befehle ausgeführt sein werden.«
Wieder bemühte er sich um ein Vertrauen erweckendes Lächeln.
»Ich komme hier auf dem Rückweg vorbei wie abgesprochen. Wir teilen durch zwei. Das ist das Gesetz.«
»Das ist das Gesetz«, bestätigte Mahault.
Der Sumpf
Die Mittagsstunde war gerade erst vorüber, aber die aus den Sümpfen aufsteigenden Nebel verdüsterten die Landschaft so sehr, dass die Gesandten des Großen
Rats gerade noch ein paar Meter weit sehen konnten. Sie fühl- ten sich alle erschlagen, waren völlig durchgefroren (mit Aus- nahme der Elfen, denen die Kälte nicht viel ausmachte) und schlechter Stimmung. Vor fünf Tagen hatten sie Loth verlassen und geglaubt, nur eine einfache Reise zu Pferde vor sich zu ha- ben; jetzt lastete auf jedem die unangenehme Erkenntnis, in welcher Situation sie sich befanden: Sie waren überhaupt nicht darauf vorbereitet, sich unter der Führung eines Galgenvogels, der sie womöglich in irgendeine tödliche Falle lockte, in die Sümpfe zu wagen. Blade, der an der Spitze ritt, bereute bereits, der alten Mahault nicht genauer zugehört zu haben. Zu seinem Glück führte der einzige steinige Weg der ganzen Gegend di- rekt zum Landesteg und zum Haus des Fährmanns.
Längs des Weges wuchs kaum Gras, beinahe alle Bäume waren abgestorben und halb von einem undurchdringlichen Dor- nengestrüpp überwachsen. Jedes einzelne Mitglied der
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