Die elfte Geißel
lag, zum Vorschein kam. Broissard hielt die Hände hoch.
»Wir müssen mit Ihnen über etwas sprechen ... etwas, das die Affäre Jarnages betrifft.«
»Ach ja? Was wollen Sie? Mich dazu überreden, den Mund zu halten, damit Maxime Kolbe nicht den Rest seiner Tage im Knast verbringen muss? In dem Fall sind Sie hier falsch! Ich werde euch mit Tritten in den Hintern überzeugen! Ich ...«
Broissard fiel ihm ins Wort.
»Wir haben neue Erkenntnisse. Erkenntnisse, die alles in Frage stellen.«
Musil starrte sie von Kopf bis Fuß an. Er fragte sich, was die beiden da mit ihm vorhatten. Aber seine Neugier war angestachelt. Schließlich trat er zur Seite und ließ sie eintreten.
Er deutete mit der Hand ins Wohnzimmer und packte im Vorübergehen seinen Schlagstock. Er lümmelte sich auf das alte Ledersofa, ließ die Federn quietschen und schaltete den Ton des riesigen Fernsehbildschirms aus. Broissard stellte sich in die Mitte des Raumes, Carrère hinter ihm. Musil griff wieder zum Glas, das er auf der Armlehne abgestellt hatte, und nahm einen Schluck.
»In den letzten Tagen hat man viel über Sie gesprochen, aber nicht unbedingt das Beste.«
»Haben Sie schon ausgesagt?«, fragte ihn Broissard.
»Ich bin gestern Abend aus Paris zurückgekehrt. Mein Anwalt hat mir versichert, dass kein Ermittlungsverfahren gegen mich eingeleitet würde. Aber von Kolbe und Ihnen kann man das nicht behaupten«, fügte er hinzu und beobachtete die Reaktionen seines Gastes.
»Wie geht es Maxime?«
»Er hat seit Beginn der Verhandlung kein Wort gesagt. Nicht einmal, als ich ihn einen manipulativen Dreckskerl nannte«, sagte er und klopfte mit dem Schlagstock leicht gegen den Handteller.
»Ich bin nicht hier, um darüber zu sprechen. Wir brauchen Ihre Hilfe.«
»Sieh einer an ... wollen Sie, dass ich bei den internen Ermittlern anrufe? Aber gern, Capitaine.«
Broissard fuhr fort, ohne auf Musils Worte zu achten.
»Wir haben uns beim ersten Mal geirrt. Wir haben uns auf der ganzen Linie geirrt. Es hat wieder begonnen.«
»Was hat wieder begonnen?«
»Ein Film. Wir haben die Spur zurückverfolgt und sind hier gelandet.«
»Was für eine Art von Film?«
»Schlimmer als alles, was Sie sich vorstellen können.«
Musil streckte sich und ließ die Fingergelenke knacken.
»Was soll das? Noch so eines Ihrer Lügenmärchen?«
Statt zu antworten, ging Carrère zum Fernseher und öffnete die Schublade des DVD-Players. Der Kommissar lief hochrot an und verschluckte sich an seinem Gin.
»Nein, aber ... hey, Blödmann! Wo glaubst du eigentlich, dass du bist?«
Er kam nicht dazu, seinen Satz zu beenden. Neverland begann wie eine fürchterliche Explosion. Musil verschlug es den Atem. Eine tonlose Stimme fragte hinter ihnen:
»Papa ... was machen sie mit den Kindern?«
»Corentin, mach die Augen zu!«
Der Vater sprang zu seinem Sohn hin, um ihm die Sicht auf den Bildschirm zu nehmen, umarmte ihn und drückte ihn an sich.
»Pst ... Ich bin da, mein Schatz. Ich bin da ... warte im Garten auf mich. Ich komm sofort.«
Er wartete, bis der Junge das Haus verlassen hatte, um seiner Wut freien Lauf zu lassen. Er durchquerte das Wohnzimmer, den Schlagstock schwingend, und stieß Broissard gegen die Wand, wobei er ihm den Knüppel unter die Kehle drückte. Er bedeutete Carrère, sich herauszuhalten.
»Mistkerl! Eure Ermittlungen haben schon genug Schaden angerichtet. Durch eure Schuld sind eine Frau und ihr Kind bei lebendigem Leib verbrannt. Du und Kolbe, ihr wart nicht da, als man die Leichen aus den Trümmern geborgen hat. Ich war da! Und jetzt wagst du es, bei mir aufzukreuzen und diesen Dreck vor meinem Sohn zu zeigen!«
»Es tut mir leid ...«
Der Kommissar traute seinen Ohren nicht und drückte stärker auf den Adamsapfel.
»Es tut dir leid? Du bist ein verdammter Mörder! Du und Kolbe, ihr seid Mörder! Den Tod eines Kindes kann man nicht einfach ausradieren! Der Sohn von Gérard Maurois war sechs Jahre alt! Sechs Jahre, verstehst du? Wegen euch hat dieser kleine Junge die letzten Stunden seines Lebens damit verbracht, versteckt auf einem Dachboden, langsam zu ersticken! Niemand sollte so etwas erleben müssen!«
Broissard begann seinerseits zu schreien.
»Ich wurde ebenfalls reingelegt! Ich habe nur meine verdammte Arbeit getan! Ich werde dafür fünf Jahre in den Knast wandern, und während dieser fünf Jahre werde ich die Zeit haben, um über die Fehler nachzudenken, die ich gemacht habe. Aber im Grunde habe ich nur einen
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