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Die elfte Geißel

Die elfte Geißel

Titel: Die elfte Geißel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aurélien Molas
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gelaufen sein. Schlagstöcke. Fußtritte. Und dann der fatale Schlag, der die Blutung zwischen Schädelknochen und harter Hirnhaut verursachte.«
    »Und die Presse wurde davon unterrichtet?«
    Firsh lachte laut auf.
    »Wenn die Presse und die Öffentlichkeit in der gegenwärtigen Lage erfahren würden, dass ein junger Mann von der Polizei totgeschlagen wurde, würde vermutlich nicht mehr viel von Frankreich übrig bleiben. Und jetzt? Sind Sie nur hergekommen, weil Sie gern mit mir plaudern?«
    »Ja und nein. Ich brauche ein neues Rezept.«
    Der Arzt forderte ihn auf, ihm in sein Büro zu folgen.
    »Daraus schließe ich, dass Sie ohne Rücksprache mit mir die Dosis von Modafinil und Venlafaxin erhöht haben.«
    Léo fühlte sich ertappt. Das nächste Rezept wäre eigentlich erst in knapp einer Woche fällig gewesen. Aber der Stress der letzten Wochen hatte ihn dazu bewogen, nach und nach die Dosis zu erhöhen. Die Schmerzen sollten endlich aufhören. Die Medikamente verschafften ihm wenigstens vorübergehend Entspannung und innere Ruhe. Ruhe, das war paradox für jemanden, der an Narkolepsie litt, sagte er sich.
    »Ich hatte wiederholt Anfälle.«
    Das Gesicht des Arztes verfinsterte sich. Sie wussten beide, was es zu bedeuten hatte, wenn die Anfälle häufiger auftraten. Ein gefährliches Crescendo, das mit erhöhten Risiken für psychotische Depressionen, plötzlichen Kataplexien und Epilepsien einherging. Als Jugendlicher hielt panische Schlafangst Léo in einem hysterischen Erregungszustand.
    Gélineau-Syndrom.
    Schlafstörung.
    Narkolepsie.
    Fatale Diagnosen für einen Alptraum, der ihm viele Träume verwehrte. Als er acht Jahre alt war, hatte ihm der Arzt unter vier Augen eröffnet, dass seine Kinderträume nie wahr würden. Er beerdigte sie. Du wirst nie Astronaut, Feuerwehrmann oder Stuntman werden. Du wirst dein Leben lang Medikamente einnehmen müssen, du musst alles vermeiden, was dich aufregen könnte.
    Mit acht Jahren war etwas in ihm gestorben.
    Der Leiter des Instituts für Rechtsmedizin begann seine Fragen zu stellen:
    »Wie viele der vier Kernsymptome sind aufgetreten?«
    »Zwei. Halluzinationen und Schlaflähmungen. Die nächtliche Hypersomnie ist weniger stark ausgeprägt, vermutlich aufgrund der Medikamente.«
    Ohne die Hilfe von Stéphane Firsh hätte diese Krankheit ihm jegliche Hoffnung auf eine Karriere bei den Sicherheitsbehörden genommen. Die Polizei stellte keine Narkoleptiker ein. Léo hatte seinen Gesundheitspass gefälscht, um in die Polizeiakademie aufgenommen zu werden; er war entschlossen, alles auf eine Karte zu setzen.
    »Phosphen? Lichtpunkte vor den Augen?«
    »Ja.«
    Erst nach einem Jahr im Dienst vertraute er sich schließlich seinen Vorgesetzten an. Er kannte bereits Stéphane Firsh, als Alain Broissard diesen bat, Léo zu decken. Am Anfang ging es nur darum, gegenüber der Verwaltung den Gesundheitszustand von Lieutenant Apolline zu verschleiern. Im Lauf der regelmäßigen Besuche entstand aus dem Arzt-Patient-Verhältnis nach und nach eine Freundschaft. Er war der einzige Patient des Professors, dessen Blut noch floss.
    »Ich werde Ihnen ein Rezept für zwei Monate ausstellen. Falls die Anfälle anhalten, sollten Sie mich umgehend aufsuchen.«
    Er kritzelte die Verordnung auf den Vordruck und warf einen Blick auf die große Wanduhr.
    »Ich will Sie nicht rauswerfen, aber meine Frau und mein Abendessen warten auf mich. Und was werden Sie tun?«
    Léopold wusste nicht, was er antworten sollte, und stammelte, wie wenn er sich entschuldigte:
    »Arbeiten.«
    »Sie müssen sich ausruhen.«
    Er wollte sich gerade verabschieden, als der Arzt ihn an der Tür zurückhielt.
    »Léopold, seit dem Prozess gegen die ›Bestie von Jarnages‹ hatten wir gar keine Zeit, miteinander zu sprechen ... und ich weiß nicht recht, wie ich es Ihnen sagen soll. In diesem Institut wird viel geredet. Die Leute vertrauen sich hier einander an. Vielleicht weil sie wissen, dass uns die Toten viel sagen können ...«
    Er deutete auf die von Striemen überzogene Leiche.
    »Aber niemals irgendetwas wiederholen. Ich weiß aus sicherer Quelle, dass der Polizeipräfekt und das Dezernat für interne Ermittlungen bei den Sicherheitsbehörden aufräumen wollen. Broissard steht ganz oben auf der schwarzen Liste. Er wird vermutlich noch in dieser Woche vorgeladen werden«, äußerte er in einem Atemzug.
    »Sind Sie sicher?«
    »Ich habe ein Gespräch zwischen zwei Ermittlungsrichtern mit angehört. Maxime Kolbe

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