Die elfte Jungfrau
ich ihn morgen aufsuchen werde.«
»Ihr scheint freien Zutritt zu den höchsten Stellen zu haben«, meinte Gauwin vom Spiegel mit einem belustigten Lächeln.
»Nun ja, da gab es mal ein Problem im Kloster...«
»In das Ihr und Ivo verwickelt wart. Ich verstehe. Es sieht aus, als ob Ihr und mein Junge von recht gleicher Wesensart seid. Vor einer Herausforderung scheut auch Ihr nie zurück, oder?«
»Ich suche sie nicht, ehrlich!«
»Nein. Aber Ihr schaut auch nicht weg, denn ansonsten hättet Ihr mich am Montag im Straßendreck liegen gelassen. Nun sagt mir noch eines, Kind: Wie wirkt mein Sohn heute? Ich habe ihn seit fünfzehn Jahren nicht mehr gesehen.«
»Er ist wohl einmal schwarzhaarig gewesen?«
»Ja, wie ein Rabe. Aber auch ich bin früh ergraut, so wird mich das nicht erschrecken.«
»Er kann sehr grimmig dreinblicken, aber wenn man ihn ein wenig kennt, spürt man sein Herz unter der harten Schale. Als ich ihn zum ersten Mal traf, vergangenes Jahr, da schien er mir verbittert und einsam. Aber das finde ich heute nur noch selten an ihm. Die Novizen respektieren ihn mehr als jeden anderen Pater, auch wenn er dann und wann wohl ein heiliges Donnerwetter über sie ergehen lässt. Er hat den Ruf, sie anschließend aus der Sch … ähm, ihnen aus den Schwierigkeiten zu helfen.«
Gauwin vom Spiegel gab einen unartikulierten Laut von sich.
»Er kann unendlich würdevoll auftreten, wenn er eine Messe liest. Und er hat, so glaube ich, einen großen Spaß daran, völlig respektlos die Heiligen Schriften auszulegen. Hm - darüber haben wir uns kennengelernt.«
»Wie das?«
»Ich disputierte mit einem Priester während der Predigt. Und kam danach in Schwierigkeiten.«
»Und Ivo, nach einem geziemenden Donnerwetter, zog Euch aus der - ähm - Scheiße.«
»Ja, so war das wohl. Seht Ihr, meine Zunge ist nicht immer sehr gehorsam, und so rutschen mir gelegentlich Bemerkungen heraus, die andere missbilligen. Meister Krudener schiebt es auf Mercurius in Gemini, aber das ist wohl nur eine Ursache dieser garstigen Neigung. Es ist, weil ich manchmal Albernheiten sehe, wo andere sie nicht erkennen.«
»Wie erfreulich, meine Liebe. Ich denke, damit habt Ihr Ivos Zuneigung durchaus gewonnen.«
»Ihr findet das nicht schlimm?«
»Nein, überhaupt nicht.«
»Na, dann wartet, bis die Geißel meiner Zunge Euch einmal trifft!«
Jetzt lachte Gauwin vom Spiegel laut und lehnte sich in seinem Sessel zurück. »Gut, Ihr habt mir eine Menge Stoff zum Nachdenken gegeben, und ich fürchte, ich werde in der nächsten Zeit viele Dinge zu regeln haben. Wenn es soweit ist, will ich mich noch einmal eingehend mit Euch unterhalten. Eines noch, Frau Almut. Habt Ihr ein bindendes Gelübde abgelegt?«
»Nein, wir Beginen leben freiwillig und nach unseren Regeln zusammen. Weshalb mein Vater beispielsweise ständig versucht, mich wieder zu verheiraten. Dagegen allerdings ist das Leben im Konvent ein Schutz.«
»Sendet Eurer Meisterin meinen Gruß, Frau Almut. Wenn es die Umstände gestatten, werde ich sie einmal aufsuchen.«
Er erhob sich und geleitete sie zur Tür. Draußen hatten Trine und Krudener mit der Haushälterin geschwatzt. Der alte Mann entschuldigte sich für sein unhöfliches Verhalten und bat sie, wieder in die Stube zu treten. Almut hingegen äußerte den Wunsch, noch einmal kurz mit ihrer jungen Freundin sprechen zu dürfen. Gauwin vom Spiegel nickte, verabschiedete sich, und Frau Nelda wurde angewiesen, sie auf ihrem Weg zurück zu begleiten.
Als sich die Tür hinter Krudener und dem Hausherrn geschlossen hatte, wandte sich Almut an Trine.
»Du hast mir neulich von der Novizin berichtet, die einen Liebestrank haben wollte. Kannst du mir das Mädchen näher beschreiben?«, wollte sie in ihrer gemeinsamen Gebärdensprache wissen.
»Hat sie wieder einen Zahn verloren?«, fragte Trine grinsend zurück.
»Nein, aber sie scheint sich ein wenig auffällig zu verhalten.«
»Also, sie ist ziemlich klein, einen halben Kopf kleiner als ich«, deutete das Mädchen an. »Und sie hat ein herzförmiges Gesicht mit sehr großen dunklen Augen und langen Wimpern. Niedlich, wie ein Kätzchen. Ihre Haare konnte ich nicht sehen.«
»Ich glaube, das reicht mir schon. Danke, Trine. Gab es weitere Übergriffe auf deinen Lehrmeister?«
»Es ist alles ruhig. Die Wachen gehen täglich zweimal an der Apotheke vorbei. Aber wir haben trotzdem Vorsichtsmaßnahmen ergriffen.«
»Ach ja.«
»Teuflische Dinge!« Trine zwinkerte Almut
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