Die elfte Jungfrau
verschwörerisch zu. »Komm nur nicht unangekündigt ins Laboratorium!«
»Willst du nicht doch eine Zeit lang zu uns kommen? Elsa würde sich bestimmt freuen.«
»Nein, Almut. Ich bleibe bei Meister Krudener.«
»Na gut. Ich besuche Euch in den nächsten Tagen noch einmal. Jetzt muss ich zum Kloster und dann nach Hause.«
Frau Nelda begleitete Almut zum Tor von Groß Sankt Martin, wo sie den Bruder an der Pforte bat, dem Abt auszurichten, sie wünsche am nächsten Tag vorzusprechen.
Ursula half Almut, die lästige Bortenweberei zu entwirren, und unter ihren kundigen Fingern strafften sich die Fäden gebührlich, richteten sich die Brettchen gehorsam aus und ließen sich anstandslos drehen.
Als Almut von ihr die Arbeit übernahm und das Weberschiffchen hin- und herlaufen ließ, entstand zu ihrem größten Erstaunen erstmals ein hübsches Rautenmuster.
»Viermal eine Vierteldrehung nach vorne, viermal nach hinten! Ah, jetzt habe ich es verstanden. Dann heben sich immer die richtigen Kettfäden.«
»Und immer straff halten, Almut, sonst wird das Band unregelmäßig.«
Mit dem Webkamm half Ursula noch etwas nach.
»Ist gar nicht so schwer, wenn es erst mal geübt ist.«
»Nein, und ich finde, es macht auch Spaß, sich neue Muster auszudenken. Wenn du nämlich die Fäden anders herum durch die Brettchen ziehst, gibt es Karos, nicht Rauten. Und wenn du sie in anderer Weise drehst, kannst du noch ganz andere Muster erzeugen. Aber dazu muss man vorher gut nachdenken.«
Almut war noch ganz vertieft in die Webarbeit, als der Novize Lodewig an die Pforte des Beginenhofs klopfte und sich anbot, sie zum ehrwürdigen Vater zu begleiten. Er schien inzwischen seine Scheu vor den weiblichen Wesen weitgehend abgelegt zu haben und antwortete freimütig auf Almuts Fragen. Ja, das Hungertuch sei vorbildlich restauriert worden und eine Zierde der Klosterkirche. Und sowohl mit dem Reliquienhändler als auch mit dem Schreinschnitzer seien sehr zufriedenstellende Vereinbarungen getroffen worden.
»Manche Sachen, die er herstellt, sehen sehr aufwändig aus, Frau Almut. Er hat ein großes Talent, dieser Meister Claas. Aber die Büsten haben ziemlich langweilige Mädchengesichter.«
»Ja, ich habe einige von ihm gesehen. Doch bei Frau Lena steht eine, die ihrer Mutter sehr ähnlich ist.«
Sie plauderten den kurzen Weg zum Kloster miteinander, und Almut gewann den Eindruck, Pater Ivo müsse sich gerade um diesen Novizen eingehend gekümmert haben. Lodewig sprach mit ehrfürchtiger Achtung von ihm. Offensichtlich hatte er ihm einige anspruchvolle Aufgaben anvertraut, die der in sich gekehrte, aber geistig rege Junge recht originell gelöst hatte. Das Lob dafür hatte sein Selbstvertrauen deutlich gestärkt.
Er führte sie bis zur Wohnung des Abtes und erklärte sich bereit, sie später auch wieder zum Konvent zurück zu begleiten.
Theodoricus empfing Almut mit großer Freundlichkeit.
»Was bringt Euch zu mir, Frau Almut? Steht in Eurem Konvent alles zum Besten?«
»Wir verbringen eine ruhige Zeit, ehrwürdiger Vater, ganz wie es sich in den Fastentagen gehört.«
»Das freut mich zu hören. Und dennoch habt Ihr ein Anliegen. Kann ich Euch in der einen oder anderen Sache behilflich sein? Ihr wisst, ich habe Euch jeglichen Beistand versprochen.«
»Je nun, ich habe tatsächlich einige Dinge, bei denen Ihr mir raten könntet. Bitte schenkt meinen Sorgen Gehör.«
»Aber natürlich. Erzählt.«
Theodoricus lehnte sich zurück, drückte die Fingerspitzen vor seinem Bauch zusammen und hörte schweigend Almuts Bericht über die verstorbenen Jungfrauen an. Er schwieg auch noch eine Weile, als sie geendet hatte, dabei allerdings tippten seine Fingerspitzen ein wenig unruhig aneinander. Schließlich bemerkte er: »Ihr habt mir sehr nüchterne Fakten genannt, Frau Almut, und überlasst es mir, daraus einen Schluss zu ziehen. Ist es das, was Ihr wünscht?«
»Ja, ehrwürdiger Vater. Denn ich selbst bin mir meiner Schlüsse nicht sicher.«
Er nickte behäbig und versank dann wieder in sein tiefes Schweigen. Almut sah sich in der Zwischenzeit in der geräumigen Stube des Abtes um und fand einen prächtig ausgestatteten Folianten auf einem Lesepult liegen. Pelzdecken waren über die Polster der Wandbänke gebreitet, und zwei Kohlebecken auf Kupferständern wärmten, neben dem Kaminfeuer, den Raum. An einer Wand hing ein vergoldetes Kruzifix, an der anderen ein auf Goldgrund gemaltes Bild der Maria, umrankt von roten Rosen. Groß
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