Die elfte Jungfrau
Raum.
»Habt ihr schon gehört?«, fragte sie atemlos. »Habt ihr gehört, was passiert ist?«
»Nein!« Alarmiert sah Almut auf. »Was ist geschehen? Ein Unglück?«
»Ein Unglück, oh ja! Man hat eine Tote gefunden. Im Garten von Sankt Ursula!«
Die Weverin schrie bestürzt auf, und Bela genoss das Aufsehen, das sie mit ihrer Meldung erregte. Genussvoll fuhr sie fort: »Ein junges Stiftsfräulein. Ich hab’ dort hinter der Äbtissinnenküche mit der Köchin - ähm - na ja, mich unterhalten, als ein großes Geschrei anfing. Eine der vornehmen Kanonissen hat sie im Garten gefunden und ein Gezeter gemacht. Wir sind hingelaufen, und da lag sie. Unter den Büschen. Ganz leblos und verrenkt, der Kopf wie abgebrochen. Ein ganz junges Ding noch. Eine von den Mägden dort sagte, sie ist bestimmt von der Mauer gefallen und hat sich das Genick gebrochen. Weil sie sich doch manchmal heimlich aus dem Stift geschlichen hat. Bestimmt, um ihren Liebsten zu treffen. Die Stiftsfräulein sind genauso schlimm wie manche Nonnen, hat sie gemeint. Dabei war sie noch nicht mal hübsch. Sie hatte so vorstehende Hasenzähne, Almut.«
Bela sah die Begine viel sagend an.
»Ei wei!«, murmelte diese. Und zu Bela meinte sie dann: »Melde das am besten unserer Meisterin. Wir sollten nicht so viel darüber schwatzen und vor allem keine Vermutungen anstellen. Den Stiftsfrauen wäre das gar nicht recht.«
Aber geschwatzt wurde dennoch, und die wildesten Vermutungen wurden auch geäußert. So wild, dass Magda Almut nach der Komplet zu sich bat, angeblich um mit ihr die Abrechungen durchzugehen. Aber dann wollte sie doch mehr wissen.
»Was hat Rigmundis gesehen, Almut? Es summt und surrt in diesem Konvent von den schauderhaftesten Gerüchten. Manche flüstern schon, uns alle würde der Tod in den Betten ereilen.«
»Es ist aber auch zu dumm, Magda. Rigmundis hat den Tod von sieben törichten Jungfrauen gesehen, denen noch vier weitere folgen. Aber die elf Jungfrauen der Ursula sind schon lange tot.«
»Hältst du diese elf Märtyrerinnen für törichte Jungfrauen?«
Almut zuckte mit den Achseln.
»Es ist schon lange her, nicht wahr?«
»Ja, natürlich. Ein harmloses Gesicht, meinst du?«
»Vielleicht. Aber zumindest kein harmloser Zufall, dass Bela ausgerechnet kurz nach dieser Vision mit der Nachricht von der toten Stiftsjungfer hereinplatzte. Ausgerechnet Bela und ich haben gestern schon von diesem Hasenzähnchen gehört, als wir Franziska im Adler besuchten!«
»Was wusste die Wirtin von ihr?«
»Sie hat sich alleine in der Schenke aufgehalten, mehr hat sie nicht erwähnt. Soll ich nachfragen?«
»Da seien unser Herr und alle Heiligen vor. Misch dich nicht schon wieder in solche Angelegenheiten ein. Lassen wir es auf sich beruhen. Die Stiftsfrauen werden Untersuchungen anstellen, wenn es nötig ist. Wenn nicht, werden sie dankbar dafür sein, dass wir Schweigen über den Vorfall bewahren.«
Das winzige Teufelchen Neugier, das leise in Almuts Hinterkopf Fragen flüsterte, wurde auf das Strengste zurechtgewiesen, und die Begine nickte zustimmend.
»Ja, lassen wir es auf sich beruhen.«
»Gut denn. Hat Rigmundis noch weiter gesprochen?«
»Ja, einen unbestimmten Hinweis auf den Erlöser, aber dem rechne ich nicht viel Bedeutung zu. Es hörte sich eher wie eine allgemeine Formel an.«
»Nun gut, kommen wir zum Geschäftlichen. Die Reparatur des Hungertuchs wird uns einen stattlichen Betrag einbringen, aber Pater Ivo versteht sich aufs Handeln. Das hätte ich nicht gedacht.«
Anerkennung schwang in den Worten der Meisterin mit. Sie war die Tochter eines angesehenen Patriziers, der sein Vermögen im Fernhandel gemacht hatte, und unverfälschtes Kaufmannsblut floss in ihren Adern.
»Wir werden es benötigen. Gertrud murrt über den Backofen. Sie meint, er müsse dringend erneuert werden. Die Lehmkuppel ist schon wieder rissig geworden, und ich denke, ein gemauertes Gewölbe würde wohl länger halten.«
»Sollen wir einen Ofenbauer kommen lassen, oder könntest du das übernehmen?«
»Könnte ich schon. Wenn ich dafür nicht am Hungertuch nähen muss!«
Tochter und Witwe von Baumeistern, nahm Almut gern jede Gelegenheit wahr, kleinere Handwerksarbeiten zu übernehmen.
Die Meisterin bedachte sie mit einem kleinen Lächeln.
»Dafür erhältst du Dispens!«
»Ah, danke. Aber wir werden einige Tage keinen Backofen haben.«
»Ich werde mit der Pastetenbäckerin nebenan eine Vereinbarung treffen.«
»Richtig, Frau Lena.
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