Die Elite
würde, wenn du das Ruder übernähmst.«
Ich stimmte in sein Lachen ein, denn er hatte ja recht. »Vielleicht würde ich alles in Schutt und Asche legen.«
»Aber vielleicht hätte Illeá gerade das nötig«, erwiderte Maxon noch immer lächelnd.
Eine Weile lang saßen wir schweigend da, und ich fragte mich, wie unser Land dann wohl aussehen würde. Wir konnten uns der königlichen Familie nicht entledigen – doch wie sollte man überhaupt einen Wandel einleiten? Vielleicht ließen sich wenigstens ein paar Dinge verändern. Man könnte zum Beispiel dafür sorgen, in Ämter gewählt zu werden, statt sie zu erben. Und allem voran das Kastensystem – es wäre ein Riesenschritt, wenn es für immer verschwände.
»Würdest du mir einen Gefallen tun?«, fragte Maxon plötzlich.
»Was meinst du?«
»Nun, ich habe dir heute Abend ein paar Dinge anvertraut, die mir nicht leicht über die Lippen gekommen sind. Und deshalb wäre es schön, wenn du mir auch eine Frage beantworten würdest.«
Sein Gesicht war so ernst, dass ich es ihm nicht abschlagen wollte. Und er selbst war so viel ehrlicher zu mir gewesen, als ich es zu diesem Zeitpunkt verdiente.
»Ja. Was immer du wissen willst.«
Er schluckte. »Hast du mich jemals geliebt?«
Wieder blickte er mir in die Augen, und ich fragte mich, ob er die Antwort dort sehen konnte. All die Gefühle, die ich bekämpft hatte, weil ich ihn für etwas gehalten hatte, was er gar nicht war; all die Gefühle, denen ich nie einen Namen hatte geben wollen.
Ich senkte den Kopf. »Als ich dachte, du wärst für die Bestrafung von Marlee verantwortlich, war ich am Boden zerstört. Nicht nur wegen der Schläge, sondern weil ich einfach nicht glauben konnte, dass du so ein herzloser Mensch bist. Wenn du über Kriss sprichst, oder wenn ich daran denke, dass du Celeste küsst, dann bekomme ich vor Eifersucht fast keine Luft mehr. Nach unserem Gespräch während der Halloween-Party hatte ich mir unsere gemeinsame Zukunft schon ausgemalt. Und ich war glücklich. Hättest du mich damals gefragt, ich hätte Ja gesagt.« Die letzten Worte flüsterte ich nur noch, denn es fiel mir schwer, so offen zu ihm zu sein.
»Ich wusste jedoch nie, wie ich dazu stehen sollte, dass du dich auch mit anderen Mädchen verabredet hast, oder dass du der Prinz bist. Trotz der Dinge, die du mir heute Abend anvertraut hast, gibt es Teile deiner Persönlichkeit, die du immer für dich behalten wirst. Doch alles zusammengenommen …« Ich nickte nur, denn ich konnte die Worte, die seine Frage beantworteten, nicht laut aussprechen. Wenn ich es tat, wie konnte ich dann noch nach Hause fahren?
»Danke«, flüsterte er. »Nun weiß ich wenigstens mit Bestimmtheit, dass wir in einem kurzen Moment unserer gemeinsamen Zeit das Gleiche gefühlt haben.«
Meine Augen brannten, und wieder konnte ich die Tränen kaum zurückhalten. Er hatte nie wirklich gesagt, dass er mich liebte, und auch jetzt sagte er es nicht. Aber das, was er sagte, kam dem schon sehr nahe.
»Ich bin eine solche Närrin gewesen«, sagte ich, und jetzt liefen mir die Tränen in Strömen übers Gesicht. »Ich habe zugelassen, dass die Angst vor der Krone über meine Gefühle für dich gesiegt hat. Ich habe mir eingeredet, dass du mir nicht wirklich etwas bedeutest. Ständig dachte ich, dass du mich belügst oder mich täuschst, dass du mir zu wenig vertraust oder dass ich dir nicht genug bedeute. Ich wollte einfach glauben, dass ich dir nicht wichtig bin.« Ich sah in sein hübsches Gesicht. »Doch ein Blick auf deinen Rücken reicht, um zu wissen, dass du fast alles für mich tun würdest. Aber ich habe es vermasselt. Ich habe alles verspielt …«
Maxon breitete die Arme aus, und ich warf mich hinein. Schweigend hielt er mich umschlungen und strich mir mit der freien Hand übers Haar. Ich wünschte, ich hätte alles andere auslöschen und nur diesen einen Moment festhalten können, in dem er und ich wussten, wie viel wir einander bedeuteten.
»Bitte weine nicht, America. Wenn ich könnte, würde ich dir gern für den Rest deines Lebens alle Tränen ersparen.«
Mein Atem ging nur noch stoßweise. »Ich werde dich nie wiedersehen«, schluchzte ich. »Es ist alles meine Schuld.«
Er drückte mich noch fester an sich. »Nein, ich hätte offener zu dir sein müssen.«
»Und ich hätte mehr Geduld haben müssen.«
»Ich hätte dir an dem Abend in deinem Zimmer einen Antrag machen sollen.«
»Und ich hätte es zulassen sollen.«
Maxon lächelte.
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