Die Elite
akzeptiert wurde? Wie oft hatte ich jemanden, der älter war als Mom oder Dad, danach gefragt, was er wusste oder was seine Eltern erlebt hatten? In meinen Augen waren diese Menschen nichts weiter als alt. Was wussten sie schon? Aber es war arrogant von mir gewesen, sie völlig zu ignorieren, und ich kam mir plötzlich unglaublich dumm vor.
Doch die entscheidende Frage war nicht, wie ich mich fühlte. Die entscheidende Frage war, was ich mit diesem Wissen jetzt anfangen würde.
Mein ganzes Leben hatte ich am Rande unserer Gesellschaft verbracht. Und ich hatte mich nicht beklagt. Meine Liebe zu Aspen hätte ich allerdings gern offen gezeigt. Doch da er eine Sechs war, war eine solche Verbindung nicht erwünscht. Hätte Gregory Illeá nicht vor all den Jahren mit eiskaltem Kalkül die Gesetze unseres Landes entworfen, hätten Aspen und ich uns nie gestritten und Maxon hätte mir nie etwas bedeutet. Maxon wäre noch nicht einmal Prinz. Marlees Hände wären noch immer unversehrt, und sie und Carter müssten nicht in einem Zimmer leben, das kaum genug Platz für ihr Bett bot. Mein kleiner Bruder Gerad könnte Naturwissenschaften studieren, statt sich dazu zu zwingen, eine Tätigkeit auszuüben, für die er sich gar nicht interessierte.
Indem er für sich selbst ein komfortables Leben in einem schönen Haus beanspruchte, hatte Gregory Illeá fast die gesamte Bevölkerung der Möglichkeit beraubt, auch nur annähernd das Gleiche Niveau zu erreichen.
Maxon hatte gesagt, ich müsste ihn nur fragen, wenn ich wissen wollte, wer er war. Der Gedanke, dass auch er ein solch abscheulicher Mensch sein könnte, ängstigte mich. Trotzdem musste ich Gewissheit haben. Wenn ich entscheiden sollte, ob ich noch länger am Casting teilnehmen wollte oder nicht, dann musste ich ganz genau wissen, aus welchem Holz er geschnitzt war.
Ich zog Hausschuhe und Morgenmantel an, verließ das Zimmer und eilte an einem mir unbekannten Wachmann vorbei.
»Alles in Ordnung, Miss?«, fragte er verdutzt.
»Ja. Ich bin bald zurück.«
Er sah aus, als ob er noch etwas hinzufügen wollte, aber ich ging einfach schnell weiter und stieg dann die Treppe zum dritten Stock empor. Im Gegensatz zu den anderen Etagen waren hier bereits am Treppenabsatz Wachen postiert, die mich daran hinderten, einfach auf Maxons Tür zuzugehen.
»Ich muss mit dem Prinzen sprechen«, erklärte ich und bemühte mich, meiner Stimme einen festen Klang zu geben.
»Es ist schon spät, Miss«, gab der Wachmann zu meiner Linken zu bedenken.
»Das stört Maxon bestimmt nicht«, versicherte ich ihm.
Die Wache zu meiner Rechten grinste schief. »Ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass er sich im Augenblick über Gesellschaft freuen würde, Miss.«
Ich runzelte die Stirn. Das konnte nur eines bedeuten. Maxon war mit einem anderen Mädchen zusammen. Vermutlich war es Kriss, die in seinem Zimmer saß, mit ihm redete, lachte und vielleicht sogar nicht länger auf ihrer Kein-Kuss-vor-der-Verlobung-Regel beharrte.
Eine Dienerin mit einem Tablett in der Hand kam um die Ecke und lief an mir vorbei die Treppe hinunter. Ich trat zur Seite und überlegte, ob ich aufgeben oder die Wachen dazu drängen sollte, mich trotzdem durchzulassen. Ich wollte gerade den Mund öffnen, als mir einer der beiden zuvorkam.
»Gehen Sie zurück ins Bett, Miss.«
Am liebsten hätte ich ihn angebrüllt, weil ich mich so machtlos fühlte. Aber das hätte auch nichts genützt, deshalb wandte ich mich zum Gehen. Als ich davonstapfte, hörte ich den einen der Beiden etwas murmeln. Machte er sich etwa über mich lustig? Oder tat ich ihm leid? Ich brauchte sein Mitgefühl nicht. Ich fühlte mich selbst schon mies genug.
Als ich wieder auf meiner Etage ankam, stellte ich zu meiner Überraschung fest, dass die Dienerin ebenfalls dort war. Sie kniete, als ob sie etwas an ihrem Schuh richten wollte, aber es war offensichtlich, dass das nur ein Vorwand war. Sie hob den Kopf, bemerkte mich, griff nach dem Tablett und kam direkt auf mich zu.
»Er ist nicht in seinem Zimmer«, flüsterte sie.
»Wer? Maxon?«
Sie nickte. »Versuchen Sie es unten.«
Ich lächelte und schüttelte überrascht den Kopf. »Danke.«
»Wenn Sie gründlich nachschauen, werden Sie ihn schon finden. Außerdem«, sagte sie, und ihr Blick war voller Bewunderung, »mögen wir Sie, Lady America.«
Dann wandte sie sich ab und lief eilig die Treppe hinunter. Ich fragte mich, wer genau mit diesem
wir
gemeint war, doch im Augenblick reichte mir diese
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