Die Enden der Parabel
der Mietskaserne zu gedeihen, ein ausgeklügeltes System von selbstgebastelten Lichtleitern und Spiegeln, die den ganzen Tag über der Sonne nachgeführt werden, reflektiert das Sonnenlicht zum erstenmal in die finsteren Höfe hinunter, es werden Farben sichtbar, die noch nie jemand gesehen hat... auch ein Regensystem existiert, bei dem das Regenwasser über Kanäle, Trichter, Spritzbleche, Schaufelräder, Düsen und Wehre geleitet wird und ein ganzes Netzwerk von Flüssen und Wasserfällen speist, die diesen Sommer lang plätschern", sagt das Baby und zeigt mit dem Finger. "Sonnenschein", krabbelt's ins Nebenzimmer. "Sonnenschein", krächzt schlaftrunken eine Erwachsenenstimme. "Sonnenschein!" brüllt das Baby und wackelt weiter. "Sonnenschein", eine lächelnde Mädchenstimme, vielleicht die Mutter. "Sonnenschein!" das Baby jetzt am Fenster, um es ihr zu zeigen, und allen, die es sehen wollen, ganz genau. SHIT 'N' SHINOLA
"Und jetzt", forscht Säure weiter, "wirst du mir den amerikanischen Ausdruck erläutern."
"Was soll das", heult Seaman Bodine, "krieg ich jetzt Aufgaben gestellt? Wird das eine Studie des amerikanischen Slang in Fortsetzungen, oder so 'n Scheiß? Sag mir, du alter Trottel", und er packt Säure an Hals und Rockaufschlag und schüttelt ihn asymmetrisch durch, "du bist wohl auch einer von denen, was? Gib's zu!" Der alte Mann scheppert wie ein Fetzenbankert unter seinen Händen, ein schlimmer Morgen voller Argwohn für den sonst so umgänglichen Bodine. "Halt! Halt!" schnieft der verblüffte Säure, dessen Verblüffung aber schnell der Überzeugung weicht, daß diese haarige amerikanische Teerjacke hier den Verstand verloren hat... Gut. Ihr habt den Ausdruck "Shit from Shinola" vielleicht schon gehört, zum Beispiel in folgendem Sinn: "Ach, der ist so dußlig, der kann ja Scheiße nicht von Schuhwichse unterscheiden. " Oder auch: "Ledernacken - wetten, daß du Scheiße nicht von Schuhwichse unterscheiden kannst?" Und dann schickt man ihn Muskelschmalz einkaufen oder noch Schlimmeres. Einer der Gedanken, die dahinterstecken, ist, daß Scheiße und Schuhwichse eben aus zwei völlig verschiedenen Schubladen kommen. Man kann sich - vielleicht einfach schon wegen des völlig unterschiedlichen Geruchs - kaum eine Situation vorstellen, in der die beiden friedlich koexistieren. Ein Fremdling in der englischen Sprache, ein deutscher Drogenfuchs wie unser Säure, der keins der beiden Wörter kennt, würde in "Shit" vielleicht eine komische Interjektion vermuten, wie sie ein Rechtsanwalt im Bowler-hut lächelnd gebrauchen könnte, nachdem er seine Akten im gelbbraunen Lederköfferchen verstaut hat: "Schitt, Herr Bummer!", worauf er rausmarschiert aus deiner Zelle, der schmierige Schweinehund, auf Nimmerwiedersehen ... oder: Scchhit! fällt das Messer der Cartoon-Guillotine durch den Hals eines schwarzweißen Politikers, der Kopf hüpft hügelab, Wellenlinien geben einen amüsanten Eindruck seiner Springbewegung, und du dachtest: recht so, Rübe runter, eine weniger von diesen Ratten, Schitt, ja! Was "Shinola" angeht, so halten wir uns an die Akademiker, Franz Pökler, Kurt Mondaugen, Bert Fibel, Horst Achtfaden und Konsorten, ihre Schein-Aula ist ein alabastern schimmerndes, im Stil von Albert Speer erbautes Freiluftstadion mit gigantischen Raubvögeln aus gegossenem Zement hoch über allen Ecken, die im Schatten ihrer vorgewölbten Schwingen je ein kapuzenverhülltes deutsches Gesicht verbergen ... von außen wirkt das Bauwerk golden, genau vom weißen Gold eines einzigen Maiglöckchenblütenblatts im Sonnenlicht von vier Uhr nachmittags, gelassen und heiter auf den Gipfel eines kleinen, künstlich aufgeführten
Hügels gelagert. Es hat eine natürliche Begabung, sich dort oben, vor einem Hintergrund erhabener Wolken, mit seinen vorteilhaftesten Profilen zur Schau zu stellen, um so Beständigkeit zu suggerieren, über die Wiederkehr der Frühlinge, der Liebeshoffnungen, der Schnee- und Eisschmelzen, stillen Semesterferien, Gerüche von frisch zerdrücktem, frisch gemähtem oder später sich in Heu verwandelndem Gras hinweg... doch im Inneren ist die Schein-Aula so blau und kalt wie der Himmel über ihr, blau wie eine Blaupause oder ein Planetarium. Keiner hier drinnen weiß, wo er hinschauen soll. Wird es oben, über uns, beginnen? Oder dort unten? In unserem Rücken? Mitten in der Luft? Und vor allem: wann... Nun gibt es einen Ort, an dem sich Scheiße und Schuhwichse tatsächlich begegnen, und zwar in der
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