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Die Enden der Parabel

Titel: Die Enden der Parabel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Pynchon
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grübeln über die Operation Schwarzer Flügel und die Glaubwürdigkeit des Schwarzkommandos nach und beobachten ihren Zauberneger, ihren Prototypen. Keiner von den beiden wagt sich vor den Kindern auf das Eis, in welchem Stil auch immer. Der Winter ist unentschlossen - der Himmel ein kalt leuchtender Filter. Unten am Strand fischt Pointsman eine Rolle Klopapier aus seiner Tasche, PROPERTY OF H. M. GOVERNMENT ist auf jedes Blatt gestempelt, und schneuzt sich hinein. Roger streift ab und zu seine Haare unter die Mütze. Beide schweigen. So stapfen sie weiter, Hände in und aus den Taschen, kleiner werdend, rehfarben, grau, mit einem Schuß von Purpur, scharf konturiert, ihre Fußabdrücke eine lange, überfrierende Reihe von erloschenen Sternen, und der bewölkte Himmel spiegelt sich fast weiß auf dem glasierten Strand ... Wir haben sie verloren. Kein Mensch belauschte jene frühen Diskussionen, kein beiläufiger Schnappschuß überlebt. Sie gingen, bis der Winter sie verschluckte und es so schien, als würde noch der grausame Kanal selbst gefrieren und keiner, kein einziger von uns, sie je ganz wiederfinden. Ihre Spuren füllten sich mit Eis und wurden, wenig später, in das Meer gespült.

[1.14] KATJE, SCHUSSSTELLUNG 3

    Lautlos, vor ihrem Blick verborgen, folgt ihr die Kamera, während sie langbeinig und planvoll ziellos durch die Räume schlendert, die breiten Schultern, die an eine Halbwüchsige denken lassen, auswärts gereckt, das blonde Haar zu einer modischen Hochfrisur getürmt, die, so gar nicht niederländischbieder, von einem alten, blinden Silberdiadem gehalten wird, durch dessen dunkles Filigran die erst am Vortag frisch gelegte Dauerwelle in Hunderten von Wirbeln wie gefroren schimmert. Größte Blende heute nachmittag, Kunstlicht zur Aufhellung an diesem regnerischsten Tag seit langem, ferne Raketenexplosionen im Süden und Osten, deren Donnern hin und wieder bis zur Maisonette vordringt und dort nicht die regenüberströmten Fenster, sondern nur die Türen beben läßt, langsam pochende Schläge, dreioder viermal, wie von armen Seelen, die sich nach Gesellschaft sehnen, verzweifelt Einlaß begehren, für einen Augenblick, eine Berührung nur...
    Außer ihr und dem versteckten Kameramann ist nur noch Osbie Feel im Haus, der draußen in der Küche etwas Mysteriöses mit den Pilzen treibt, die er auf dem Dach geerntet hat. Sie haben leuchtend orangerote Hüte, die mit weißlichgrauen Flecken aus schleierartigem Gewebe gesprenkelt sind. Ab und zu lenkt die Geometrie ihrer Ruhelosigkeit Katje an die Küchentür, durch die sie einen Blick auf sein knäbisches
    Getue mit den Narrenschwämmen wirft (denn diese eigenartigen Verwandten der tödlichen Amanita phalloides sind es, denen Osbies Aufmerksamkeit gilt - oder das, was bei ihm als solche hingeht) - dazu ein kurzes Lächeln, das sie freundlich meint, das aber Osbie nur als raffiniert, mondän, verderbt empfindet. Sie ist das erste holländische Mädchen, das er kennenlernt, und er staunt, an ihren Füßen hochhackige Pumps zu sehen und nicht Holzpantinen, ist fast schockiert von ihrem geschliffenen Stil, den er für typisch continental hält, dem Intellekt hinter ihren blondbewimperten Augen oder den getönten Brillen, die sie auf der Straße trägt, hinter den Spuren von Babyspeck und den eingesunkenen Grübchen zu beiden Seiten ihres Mundes. (Die Großaufnahme zeigt, daß ihre Haut, obwohl fast makellos, doch leicht gepudert ist, daß sie Rouge aufgelegt hat, daß die Wimpern einen Hauch getuscht und die Brauen in Form gezupft sind, was man an zwei, drei leeren Poren erkennen kann ... )
    Was kann der kleine Osbie bloß im Schilde führen? Sorgfältig schabt er die Lamellen aus den persimonenfarbigen Pilzkappen heraus und schneidet den Rest in schmale Streifen. Heimatlos gewordene Elfen huschen oben übers Dach und schnattern. Schon hat er einen wachsenden Haufen von orangegrauem Pilzfleisch, das er nun handvollweise in einen Topf mit siedendem Wasser wirft. Ein früher aufgesetzter erster Schub, der auf dem Herd köchelt, hat sich bereits zu einem zähen, mit gelblichem Schaum bedeckten Brei verdickt, den Osbie jetzt abgießt und in Pirats Mixer zu noch feinerem Püree verquirlt. Anschließend schmiert er die pilzige Creme auf ein Kuchenblech. Er öffnet das Backrohr, zieht mit Hilfe von Asbesttopflappen ein Blech heraus, das mit dunklem, zusammengebackenem Staub bedeckt ist, und schiebt dafür das gerade neu bestrichene hinein. Mit Mörser und

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