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Die Enden der Welt

Die Enden der Welt

Titel: Die Enden der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Willemsen
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Werktags. Auf den Fluren von Bürogebäuden weichen Frauen mit Akten Männern mit Akten aus, in der helllichten Sonne geht jemand über den menschenleeren Parkplatz, um einen vergessenen Gegenstand vom Rücksitz seines Autos zu nehmen, Akten. Aus der Entfernung wirken diese Bewegungen wie Abschnitte aus einer Scharade, so, als wäre ihnen wie im Kinderspiel ein Konjunktiv vorausgelaufen: Du wärst über den Parkplatz gekommen, du hättest … du wüsstest nicht – eine vorweggenommene und eine nachgeahmte Geschichte.
    Der Boy kommt mit dem Teewagen durch den Flur. Unter jeder Unebenheit des Bodens klirren Flaschen gegen Flaschen, die Löffel auf den Untertassen, die Bestecke auf den abgegessenen Tellern.
    »Get stuffed!«, bellt eine Stimme draußen.
    Ich schleppe mich ins Bad. Die drückende Feuchtigkeit quillt mir mit einem Geruch von heißem Klebstoff und Pilzen entgegen. Bevor unter der Annäherung der Spiegel beschlägt, erinnert er mich an mein Gesicht. Ich garniere den erfrorenen Mundwinkel mit einem Zahnstocher und lasse mich, während das Wasser einläuft, auf dem Badewannenrand nieder. Das Licht ohne Färbung wie das Wasser, die Konturen stumpf, die Plastikvorhänge matt wie beschlagenes Glas. Allmählich klart der Spiegel auf, man erkennt in ihm jetzt auch den Vorhang, den schwarz verklebten Luftabzug an der Decke. Dann die Knie, bedeckt mit Kindernarben und einer Entzündung, wohl von einem Insektenstich. Unter dem letzten Verputz wölben sich Schuppen grüner Farbe, auch die schicken sich an, zu Boden zu gehen, staubiger Anstrich ohne Grundierung. Wir sind alle aus dem gleichen Material.
    Eine Zeitung auf dem Tisch, ein Schreibheft, Prospekte, Bilder einer Dachterrasse … das Badewannenwasser hat einen Bittermandelgeschmack in meinem Mund zurückgelassen … Der aufgeschlagene Hotelprospekt strunzt mit einem Foto der Frühstückslounge, der »Five Diamonds Bar«, flankiert von den Abbildungen unbeteiligter Gäste und smilender, livrierter Asiaten. Ganz hinten steht der Küchenchef vor einem Spiegel, ein König, ein Genießer.
    Im Nebenzimmer wird das Fenster geöffnet und wieder geschlossen. Ein leerer Plastikbecher kommt durch den Schacht herab. Diese Hinterhöfe sind wie Hühnerställe, vergittert und verdreckt, außerdem pechschwarz von den Ablagerungen der Autogase, Kohleöfen und Grills, ein System von Fluchtwegen über Feuertreppen und Flure, versehen mit den Stolperdrähten vielfach auf und ab geführter Wäscheleinen, auf denen Handtücher und Pyjamas ergraut sind, bevor sie von einem einzelnen Arm unter einer diagonal verklemmten Jalousie ins Innere des Hauses gerafft werden. Einmal im Jahr besichtigt der Bürgermeister absichtsvoll auch so einen Hinterhof. In den Zeitungen erkennt man nicht mehr als einen freundlichen Mann, der in seinem hellen Anzug im Finstern steht, mitten unter anderen, die Kameras und Schirme tragen.
    Halb fünf.
    Vom Fußende des Bettes aus, einen halben Meter vom Apparat entfernt, sehe ich zu, wie sich das Fernsehbild knisternd aufbaut. Der Schirm glüht von Anthrazit zu Grau zu Dunkelblau zu Blau, ins Blaue prickeln die Farben Gelb, Rot, Hellgrün und Lila. Der Widerschein der nun im Bild erschienenen Kostüme koloriert dann auch die Gesichter, Wangen röten sich im Handumdrehen, Augen verdunkeln sich zu brüllendem Violett. Stirn und Hände erscheinen mal braun, mal aubergine oder curry, der Apparat kann sich nicht entscheiden, erst legt er Braun auf, später wechselt er die Hautfarben mehrmals in rascher Folge.
    Drei Chinesen prozessieren durch eine Berglandschaft, ihre prachtvollen altertümlichen Kostüme sind voller Überfluss, die Ärmel weit, die Hüte mit bestickten Borten besetzt, Schulter und Leibgewänder mit umständlichen Versteifungen gestärkt. Ganz freundlich sprechen sie miteinander und gehen mit hölzernen Schritten auf ihren hohen Sandalen im Kreis, unaufhörlich danken sie der Frau, die in ihre Mitte getreten ist.
    Viertel nach fünf.
    Dann spricht die Frau allein zu den Männern. Sie ist sich ganz sicher. Auch wenn sie die Kaiserin ist, sieht sie die Männer freundlich an, und die Männer zeigen, dass sie eine akzeptable Frau und hübsch aufgemacht ist mit ihrem bunten Kopfschmuck und ihrem Trippelschritt. Die Frau sagt, dass das nicht geschehen darf, dass es unter keinen Umständen geschehen darf. Dazu schüttelt sie den Kopf, sagt es noch einmal, zum dritten Mal. Nein, die Männer sagen gemessen nein, jetzt lachen sie wieder und nehmen ihren

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