Die Enden der Welt
und drei bösen Hunden, die sich auch gegen Wölfe und Schakale durchsetzen müssen und immer kampfbereit sind. Immerhin fraßen die Wölfe im Krieg selbst von den zurückgebliebenen Leichen.
Der Hirte weiß das, er rutscht von seinem Sandhaufen und nähert sich ein paar Schritte. Unter seinem langen Filzmantel trägt er einen Pullover, eine wattierte grüne Jacke, eine Nadelstreifenweste. Mit dem langen Stab in seiner Hand stützt er sich, schützt und dirigiert er die Schafe, an die siebenhundert sind es, behütet von zwischen zehn und vierzehn Schäfern in dieser Gegend, gefährdet von Taranteln, Schlangen, Schakalen.
Wo er schläft?
»Irgendwo in der Steppe.«
Woher er sein Wasser bezieht?
»Es sind sechs Stunden mit den Tieren bis zur nächsten Quelle.«
»Und ist die Herde sicher?«
»Manchmal kommen Diebe und klauen ein paar Tiere. Aber was soll ich machen? Wir beklauen uns dann wechselseitig.«
»Und was machst du, wenn ich dich beklaue?«, will Freund Turab wissen.
»Ich kann Karate«, erwidert der Hirte mit einem Gesicht, das im Leben noch nie gescherzt hat oder jedenfalls so aussehen möchte.
»Was isst du?«
»Mein Brot mit etwas Fett, das ich hier in einem Döschen mit mir führe.«
Er zeigt es.
»Und warum hängst du hier rum?«, protestiert Turab humoristisch, »statt dir in der Stadt eine vernünftige Arbeit zu besorgen?«
»Ich kann nicht.«
Er hört, wo wir zu Hause sind.
»Ihr lebt in einem guten Land, in dem es immer Regen gibt.«
»Was verdienst du?«
»Ich bekomme ein Zehntel aller neugeborenen Schafe eines Jahres. Wenn ich Glück habe, sind das fünfzig.«
»Wie alt bist du?«
»Weiß ich nicht. Vielleicht 21 ?«
»Aber du hast noch keinen Bart!«
»Kannst du mir nicht sagen, wie alt ich bin?«
Die Gespräche der Afghanen untereinander sind oft so. Gleich sind sie bei den Lebensumständen, eigentlich bei den vertraulichen Dingen. Nie wird eine Frage abgelehnt oder selbst in Frage gestellt. Man teilt die Geschichte wie die Atemluft.
Wir gehen zu Fuß weiter durch die Steppe, lange sieht man vor allem die geschwungenen Linien der erstarrten Dünen, staubige Senken, dann kommen aus allen Himmelsrichtungen Kinder wie aus dem Nichts. In den Händen Plastik- MP s und ebensolche Kalaschnikows, die ersten Dinge, die sich die Kinder von ihrem Geld kaufen, denn sie wissen nicht, was Entwaffnung ist.
Dann plötzlich ändert sich die Atmosphäre. Klarer wird die Luft, vor uns liegt höhere Vegetation, Baumwollfelder erscheinen, Mais. Hinter den Strohpalisaden liegen die usbekischen Sippenhöfe mit ihren wehrhaft im Karree angelegten Hütten, den getrampelten Verbindungspfaden, staubigen Hauptwegen, über die die Kamele geführt werden. Alles sieht nach afrikanischer Lehmarchitektur aus, nicht anders als in Mali oder Burkina Faso.
Wir stehen noch vor den Toren und warten, ob wir eingelassen werden. Irgendwo findet eine Zeremonie statt. Eine Braut wird ganz traditionell auf dem Kamel abgeholt und ins Haus des Bräutigams gebracht. Man hört ein Motorrad knattern, trotzdem sind wir an den Grenzen einer isolierten, sich von der Mitwelt abkapselnden Kultur, die gleichzeitig an ihrer Armut zu ersticken droht. Während wir warten, treibt ein Junge, begleitet von einem räudigen Hund, ein verfilztes Kamel vorbei, gefolgt von einem Greis auf einem Damenfahrrad.
Der Älteste aus einem der Höfe bittet uns herein. Seine grotesk modische Sonnenbrille nimmt er nicht ab, sie ist weniger Brille denn Statussymbol. Gefolgt wird unser kleiner Tross jetzt von einem Jungen, der eine Kanne mit heißem Wasser samt Schale zum Händewaschen hinter uns herträgt.
Der Innenhof des Anwesens drängt alle vitalen Funktionen der Sippe auf engen Raum: Brunnen und Herd, Stall und Werkstatt. Letztere ist verlassen, als wir kommen, denn die Frauen, die hier tagsüber zum Weben der usbekischen Teppiche versammelt sind, haben sich ins Innere zurückgezogen.
Lange war der Vorsteher des Hofes im Gefängnis von Kundus interniert gewesen. Dass er gefoltert wurde, erwähnt er, wie um der Vollständigkeit halber auch diesen Baustein aus den Biographien hiesiger Menschen nicht unterschlagen zu haben. Während er spricht, hält er den Kopf mit dem Turban gesenkt und streicht mit der feingliedrigen Hand über die noch unfertigen Gewebe vor sich, bunte Stoffe, die dann mit eingeübten Gesten von den Kindern zusammengelegt werden. Selbst die Fußsohlen dieser Kinder tragen die Henna-Ornamente des zurückliegenden
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