Die Endzeit Chroniken - Exodus (German Edition)
so genau willst du das gar nicht wissen«, antwortete sie zögernd und versuchte, ihre zitternden Hände unter Kontrolle zu bekommen. Während der Reise nach Eagle Village hatte ihr Verstand begonnen, die Erlebnisse zu verarbeiten und ihr Körper reagierte auf die idyllische Ruhe, die dieser Ort wie das Auge eines Sturms ausstrahlte, mit Entzugserscheinungen.
»Ich hätte die Frage doch sonst nicht gestellt!«
Seine unverblümte Direktheit zwang Cassidy, zu lächeln. Er war immer noch derselbe vorlaute Junge, der in Silver Valley heimlich Lagebesprechungen mitgehört hatte. Insgeheim genoss sie seine Nähe, denn er stellte ein Stück Heimat dar, so seltsam das nach gerademal vier Wochen Krankenruhe und Training klingen mochte.
»Sienna gibt’s nicht mehr.«
»Vultures?«
»Nein, die Neuen.«
»Habt ihr welche von ihnen gesehen? Was sind das für Typen?«, fragte Jesse aufgeregt. Nun ließ er von Scott ab und schenkte ihr seine ungeteilte Aufmerksamkeit.
»Sie …«, begann Cassidy zögernd und bereits das zweite Wort blieb ihr im Halse stecken. Sie konnte ihm nicht erzählen, was sie erlebt hatte. Er war erst zwölf!
»Ich versteh schon, bin zu klein dafür«, maulte der Junge enttäuscht.
»Ich kann nicht darüber reden. Lass mir etwas Zeit«, seufzte Cassidy wahrheitsgemäß – was außerdem äußerst bequem war.
»Okay, du bist nicht die Erste, die nichts sagen will.«
»Wie meinst du das?«, fragte sie und hob dabei erstaunt den Kopf.
»Es gibt ein paar Überlebende, die es bis hierher geschafft haben. Kamen gestern zu Fuß hier an, nachdem ihr Wagen kurz vor Eagle Village schlappgemacht hat. Die machen den Mund auch nicht auf!«
»Kannst du mir die mal zeigen?«
»Klar! Die hängen immer zusammen bei dem anderen Brunnen herum«, erwiderte der Junge, ergriff Cassidys Hand und zerrte sie einmal quer durch das Dorf. Der Zweitbrunnen war weniger zur Wasserversorgung geeignet und diente vor dem globalen Zusammenbruch als Erholungszentrum der Luxussiedlung. Vier Schwäne aus kunstvoll verziertem Marmor spien je einen Wasserstrahl aus ihren Schnäbeln, die sich in einem polierten, mit kleinen Jungschwanenstatuen bestückten Becken sammelten. Große Solarzellenanlagen auf den umliegenden Dächern versorgten die alte Pumpe am Tage mit Strom. Obwohl das Schauspiel eine unglaubliche Ressourcenverschwendung darstellte, bestand Paul auf die tägliche Inbetriebnahme für genau drei Stunden, um seinen Bürgern ein Gefühl von Normalität zu bieten. Auf den Beckenrändern saßen fünf beinahe unbewegliche Gestalten, die in leise Gespräche vertieft ständig die Siedlung zu beobachten schienen. Zu ihren Füßen erkannte Cassidy zwei fest verschnürte Rucksäcke, die sie nicht aus den Augen ließen.
»So hocken die da seit gestern rum. Reden mit kaum jemandem und sind genauso verstört wie du«, erklärte Jesse, während er sich hinter einer Hausecke versteckte. Cassidy näherte sich unterdessen zaghaft der Gruppe und musterte die seltsamen Rucksäcke, die ihr irgendwie verdächtig vorkamen. Wer flüchtet zu Fuß mit solch schwerem Gepäck? Mit jedem Schritt fühlte sie sich unbehaglicher, als würde man sie beobachten.
»Hey, ihr seid aus Sienna entkommen?«, rief sie und umklammerte angespannt ihr schwarzes Gewehr. Als hätte sie eine vorlaute Göre aus dem Winterschlaf geweckt, drehte eine Frau in Angels Alter ruckartig ihren Kopf herum. Ihr kupferfarbener, aus einer Handvoll Haarsträhnen geflochtener Zopf tanzte dabei über ihre sonnengebräunten Schultern. Bedächtig erhob sie sich vom Beckenrand und stolzierte mit tänzerischer Grazie auf die unsichere Teenagerin zu. Sie war ein wenig größer als Cassidy und zog geübt Nutzen aus ihrer athletischen Figur. Ein tiefschwarzer, sanft auslaufender Lidschatten umrandete ihre glitzernden, smaragdgrünen Augen, die das eingeschüchterte Mädchen selbstbewusst von Kopf bis Fuß musterten, bevor sie einer Reaktion für würdig befunden wurde.
»Du bist uns unbekannt. Wie ist dein Name?«, sprach sie mit säuselnder Stimme.
»Cassidy«, erwiderte Cassidy zögernd, der es nur mit großer Kraftanstrengung gelang, den bohrenden Blicken der Fremden standzuhalten. »Also, wie seid ihr entkommen?«
Erneut versagte ihr die Frau eine Antwort und stolzierte stattdessen wie eine adlige Kundin auf einem Sklavenmarkt um das potentielle Objekt ihrer Begierde. Hinter ihrem Rücken schwenkte sie plötzlich blitzartig den Kopf in Jesses Richtung, der sich wie immer absolut
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