Die Endzeit Chroniken - Exodus (German Edition)
Großstadtruinen oder Industriekomplexe.
Auf einem großen Tisch in der Mitte stand ein maßstabsgetreues Modell von Silver Valley, an dem bequem Ausbauarbeiten und Verteidigungsmaßnahmen geplant werden konnten. Zwei Ranger in Uniform beugten sich darüber und diskutierten die Wirksamkeit der minengepflasterten Ausweichroute, die Butch bei der Flucht vor den Vultures wertvolle Minuten geschenkt hatte. Hinter ihnen saß der grauhaarige Mann an einem Mahagonischreibtisch. Neben den vielen Büchern und losen Papierstücken fiel Cassidy sofort das Schachbrett am Rand des wuchtigen Bürotisches auf; eine der wenigen Freizeitaktivitäten ihrer alten Heimat. Die Figuren standen kreuz und quer auf dem Spielfeld verteilt, als wären die Spieler mittendrin unterbrochen worden.
Der charismatische Anführer hatte eine schwarze Lederjacke über den Stuhl gehängt, trug eine graue Armeeuniform, kaute auf einer Zigarre und studierte ein paar Aktenordner, in denen er gelegentlich Notizen machte. Als Kim sich ihm näherte, stand er mit einem Lächeln im Gesicht auf und kam den beiden entgegen.
»Ich hoffe, du bist satt geworden!«, rief er Cassidy zu. Natürlich rächte sich ihre Völlerei in genau dieser Sekunde und ließ sie hilflos aufstoßen.
»Na, das ist Antwort genug!«, erwiderte der Mann trocken, während Kim ihr Lachen im letzten Augenblick zu unterdrücken vermochte.
»Verzeihung«, stammelte sie erschrocken und senkte beschämt den Kopf, doch im selben Moment spürte sie einen leichten Schlag auf den Rücken und stand sofort wieder gerade. Der grauhaarige Anführer stellte sich in militärisch zackiger Stimmlage als General Francis Monroe vor und bestätigte Cassidy damit ihre Vermutung, dass er kein einfacher Dorfältester sein konnte. In Wirklichkeit hatte er das Oberkommando über die Ranger aller Freien Enklaven von Silver Valley bis Sienna. In den Anfangsjahren gehörte er zum Stab von General Peterson, Kims Vater, der in dem bisher schwersten Überfall der Vultures vor dreieinhalb Jahren getötet worden war.
Um Cassidy die Organisationsstruktur ihrer neuen Heimat zu erklären, erzählte er ihr zunächst von der Entstehung dieses einzigartigen Ortes. Nach dem globalen Zusammenbruch schossen brutale Gangs überall auf der Welt wie Pilze aus dem Boden und überzogen das vertrocknete Land mit Anarchie und Gewalt. Für viele zählte nur noch das Recht des Stärkeren und die wenigen, die sich gegen die Entmenschlichung auflehnten, wurden meist ihre ersten Opfer. General Peterson befehligte zur Zeit des Untergangs ein Ranger-Team, das hinter den feindlichen Linien Sabotageakte durchführen sollte. Als es plötzlich keinen Feind mehr gab und sie zu ihren Familien zurückkehren wollten, stellten sie entsetzt fest, dass ihre Heimatstädte aufgrund der chaotischen Zustände bereits zu Todesfallen geworden waren. Rastlos durchstreiften sie anschließend jahrelang die Wastelands, immer auf der Suche nach marodierenden Banden, die sie dank militärischer Präzision meist spielend überwältigen konnten. Viele befreite Sklaven schlossen sich ihrem Kampf an, doch mindestens ebenso viele Zivilisten waren für Petersons Privatkrieg nicht zu gebrauchen. Eines Tages musste sich der alternde General entscheiden, ob er die Flüchtlinge sich selbst überlassen oder ihnen eine neue Heimat schaffen wollte. Monroe vergaß nicht zu erwähnen, dass es Kims besonderem Einfluss zu verdanken war, der ihren Vater schlussendlich von der Errichtung Silver Valleys überzeugt hatte.
Trotz all der Heroik bestand der von antiker Geschichte und Philosophie geprägte General auf strenge Grundregeln, damit seine Stadt nicht die Fehler der zusammengebrochenen Zivilisation wiederholte. Zunächst verwarf er das Prinzip der Demokratie, die ihnen vor dem globalen Zusammenbruch nur Ärger gebracht hätte und für die Gründung einer Nation, so klein sie auch sein mochte, unbrauchbar wäre. Des Weiteren legte er die Messlatte für Neuzugänge auf ein im ersten Moment durchaus unfair erscheinendes Niveau. Um in Silver Valley aufgenommen zu werden, musste man das eigene Gewicht tragen können, also seinen Teil zur Gemeinschaft beitragen. Dabei spielte es keine Rolle, ob sich potentielle Kandidaten den neugegründeten Rangern anschlossen und ihr Leben für die Gemeinde riskierten oder den ganzen Tag am Waschbrett standen. Gangaussteiger hatten aus Gründen innerer Sicherheit besonders schlechte Karten, sofern sie überhaupt lebend das Palisadentor
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