Die Endzeit Chroniken - Exodus (German Edition)
auch hier würde sie der Realität nicht gänzlich entrinnen können.
Als es für Cassidy endlich zwei zu null gegen die Hühnerbrühe stand und sie im Kampf mit dem gegrillten Filet ebenfalls als Siegerin hervorgegangen war, rieb sich das Mädchen stöhnend den Bauch. Kim und Johnny gesellten sich zu ihr, während sie ihren Magen auf eine bis dahin relativ ungewohnte Dehnungsprobe stellte und sich noch eine weitere Portion vom Grill besorgte. Die beiden lachten ausgelassen und unterhielten sich mit ihren Banknachbarn. Cassidy war zu beschäftigt, um sie zu belauschen, bis sie plötzlich eine Hand auf ihrer Schulter spürte.
»So, du bist also unsere neueste Errungenschaft«, hörte sie eine ruhige Männerstimme sagen. Sie drehte sich mit vollem Mund um und blickte hoch. Vor ihr stand ein älterer Mann, sie schätzte ihn auf etwa sechzig Jahre. Er war nicht sehr groß, wirkte kerngesund und durchtrainiert, hatte nur noch kurze, graue Haaransätze an den Seiten seines Kopfes und ein vertrauensvolles, rundes, wenn auch etwas hageres Gesicht.
»Wenn du deiner ärztlichen Anweisung Folge geleistet hast, komm doch bitte in mein Büro. Wir sollten uns besser kennen lernen.«
Cassidy hatte es zuvor nicht bemerkt, aber während der Mann mit ihr sprach, waren die Gespräche an den Tischen verstummt. Jeder schien sie nun anzustarren.
»Wer war das?«, flüsterte sie Kim zu, als die Dorfbewohner wieder zu ihren eigenen Unterhaltungen übergingen.
»Das ist unser Chef. Er lernt Neuankömmlinge gerne persönlich kennen, bevor man offiziell aufgenommen wird«, antwortete Kim etwas zögerlich. Cassidy war ein wenig unwohl zumute. Der Mann wirkte vertrauensvoll, doch die Reaktion der Leute beunruhigte sie. Er konnte kein einfacher Anführer oder Dorfältester sein.
»Lass dir Zeit und iss erstmal in Ruhe auf!«, brummte Johnny, der aus irgendeinem Grund die größte Portion des ganzen Tisches erhalten hatte. Cassidy blickte dem in Rangerkluft uniformierten Mann verunsichert hinterher, der in der alten Tankstelle verschwand. Kim stützte den Kopf auf die Arme und schaute dem Mädchen verträumt zu, während sie die letzten Stücke herunterwürgte. Ihr beleibter Freund trottete zurück in Richtung Werkstatt und die Dorfbewohner räumten bereits die Tafeln ab. Die Grillreste wurden an die Hunde und Katzen verfüttert, die den Ort ganztags auf Trab hielten. Schließlich nahm Cassidy all ihren Mut zusammen und erhob sich von der Schulbank.
»Fertig?«, fragte Kim.
Nickend murmelte das Mädchen: »Was erwartet mich denn da drin?«
»Tja, das kommt auf seine Laune an. Wie gesagt, er begrüßt alle Neuen persönlich, nur du bist schon was besonderes. Mach dir mal keine Sorgen. Er sieht zwar böse aus, beißt aber nur selten!«
Mit einem Augenzwinkern nahm sie ihre junge Freundin an die Hand und führte sie zur alten Tankstelle. Vor dem Eingang stand ein Wachposten, Licht trat aus dem Inneren heraus und es roch eigenartig nach verbranntem Tabak. Kim nickte dem Mann an der Tür lediglich zu, er senkte seinen Kopf und ließ sie passieren. Cassidys Augen mussten sich einen Moment lang an die neuen Lichtverhältnisse gewöhnen, dann erkannte sie Landkarten an den Wänden, deren rot beziehungsweise grün eingezeichnete Bereiche die Territorien der Vultures von denen der Freien Enklaven trennten. Zwei große Gebirge begrenzten die bekannten Wastelands im Norden und Süden. Ein vertikaler, weißer Streifen zwischen den Herrschaftsgebieten der verfeindeten Parteien kennzeichnete das Niemandsland, in dem sich auch Cassidys Heimatdorf befunden hatte. Am südöstlichen Ende der Karte befand sich Silver Valley direkt am Fuße des mächtigen Gebirgsmassivs. Anderthalb Tagesreisen nördlich lag Jaguar Bay, Johnnys Heimatsiedlung und ehemaliger Binnenhafen. Noch weiter nördlich markierten grüne Punkte die verbündeten Enklaven Eagle Village und Sienna, mit denen die Ranger seit ihrem Anschluss an die Allianz den Kontakt aufrecht erhielten. Rote Fähnchen auf der Westseite der Wastelands wiesen hingegen auf Außenposten der Vultures hin. Mit Zirkeln um die feindlichen Lager gezogene Kreise zeigten deren durchschnittliche Überfallreichweite basierend auf Infrastruktur und Landschaftsbild. Das Kartenmaterial war über Jahre in mühevoller Handarbeit entstanden. Atlanten der Vorzeit hatten aufgrund der drastischen Klimaveränderungen viel von ihrer Genauigkeit eingebüßt und dienten nur noch als Referenzen zum Eintragen gefährlicher
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