Die Endzeit Chroniken - Exodus (German Edition)
Hat er sich mal wieder ins Bein schießen lassen?«
»Ja! Zum dritten Mal in Folge!«, brummte Butch.
»Bau ihm doch mal einen Beinpanzer, vielleicht hilft das. Nimm seine Kevlarweste als Ausgangsmaterial, die braucht er eh nicht!«
»Ja danke schön!«, rief Victor, der aus Richtung des Waschsalons auf sie zugehumpelt kam. »Kaum die Augen auf und gleich wieder zickig!«
»Nette Krücken! Steven hatte die sicher schon griffbereit, oder?«, entgegnete ihm Angel schnippisch.
»Na du hast es nötig!«
Sie warfen sich noch ein paar Minuten lang freche Sprüche an den Kopf, informierten Angel über die Verfolgungsjagd und die drei ereignislosen Tage danach, brachten Johnny beim Skat um eine Wochenration Brot und leerten nebenbei eine Keramikschale voll Trockenobst. Die Dorfbewohner gingen unterdessen ihrer Arbeit nach. Es wurde Wäsche gewaschen, Holz gehackt, Geschirr gespült, Geräte gesäubert und Fahrzeuge repariert. Ein paar Ranger trainierten im Pavillon, Johnny und Butch setzten ihre Reparaturen am Pick-up fort, der heute endlich eine neue Tür erhalten sollte, während Victor seinen Verband wechseln ließ. Kim verschwand in Richtung Fitnesscenter und Cassidy war zum ersten Mal mit Angel allein.
»So, sie haben dich also in mein Zimmer gesteckt?«
Cassidy nickte unsicher.
»Gefällt’s dir?«
»Nicht wirklich, es ist ziemlich - leer.«
»Na, wenigstens bist du ehrlich. Ich versuch so wenig Zeit wie möglich in dem Mauseloch zu verbringen; kommen nur alte Erinnerungen hoch. Richte es dir ein, wie du willst. Solange ich mein Bett finde, ist alles okay.«
Glücklich lächelnd fühlte das Mädchen, wie ihr ein großer Stein vom Herzen fiel. Bis zu diesem Zeitpunkt war ihr unwohl dabei gewesen, ohne Angels Einverständnis in ihrem Quartier zu wohnen. Cassidy hatte an diesem Morgen jedes Türschild der Baracke überprüft. Ihr Raum war tatsächlich der einzige, der nur von einer Person bewohnt wurde. Der Name Agnes an der Tür verwunderte sie umso mehr und ließ sie vermuten, dass Angel nur ihr Spitzname sein könnte.
»Haben sie dir schon gesagt, was auf dich zukommt?«
Das Mädchen schüttelte den Kopf.
»Wenn du dich entschließt, bei uns mitzumachen, dann werden wir dich erstmal ausbilden müssen. Du hast Talent, aber das alleine wird auf Dauer nicht reichen.«
Ein bisschen Abenteuerblut steckt in allen Menschen, doch nur die wenigsten richten ihr Leben danach aus. Im ersten Augenblick würde wohl beinahe jeder vor Freude in die Luft springen und dem Ruf des Abenteuers folgen, aber einmal dabei, ändert sich diese Sichtweise sehr schnell und entsprechend schwer gestaltete sich Cassidys Entscheidung.
»Komm, lass uns verschwinden. Ich muss hier weg, bevor Steven zurückkommt und merkt, dass ich geflüchtet bin!«, ächzte Angel und erhob sich augenrollend von der Bank. Mit Hilfe ihres Schützlings stolperte sie auf der Straße entlang, die mitten durchs Lager zu den Feldern führte. Stan begrüßte sie auf dem Weg zur Arbeit, er wirkte ruhig und ausgeglichen. Der Schock der vergangenen Tage half ihm, über den Verlust seiner Gattin hinwegzukommen. Er fühlte sich wegen seiner Abwesenheit während des Angriffs schuldig, konnte aber nichts dagegen tun und hatte sich entschieden, sein Schicksal zu akzeptieren. Außerdem hatte er eine sehr offenherzige Frau kennengelernt, die er Cassidy als Mary vorstellte. Die ehemalige Anwaltsgehilfin lebte seit einem halben Jahr in Silver Valley als Farmerin und hatte ihre Familie bei einem ähnlichen Überfall verloren. Das Paar war, wie sie wiederholt betonten, nur Freunde. Mary versuchte aufrichtig, der ungläubig schauenden Teenagerin ihren präapokalyptischen Beruf zu erklären. Das hoffnungslose Unterfangen endete jedoch schnell in amüsiertem Gelächter seitens der älteren Generation. In Zeiten von Anarchie und Chaos vermochten sich weder Angel noch Cassidy vorzustellen, wie man sich in einem Gerichtssaal ohne Waffengewalt gegen einen Ankläger verteidigen konnte oder warum jahrelanger Freiheitsentzug Menschen auf die rechte Bahn bringen sollte.
Ihr mühseliger Spaziergang führte die beiden anschließend an der Farm vorbei bis hinunter zu den ersten Gebirgsausläufern. Tagsüber gab es hier keine Patrouillen, weshalb Angel die Einsamkeit für ein längst überfälliges Gespräch nutzen wollte.
»Hast du in den letzten Tagen mal an deine Familie gedacht?«, fragte sie.
»Ja, gestern Abend, als ich in dem bequemen Bett lag, welches du mir versprochen
Weitere Kostenlose Bücher