Die Engel warten nicht: Kriminalroman (German Edition)
Keine fünf Prozent unserer Autobahnen werden vom Verkehr belegt. Mit algorithmisch optimierten Fahrzeugen können sie die Straßen vollpacken wie einen Eierkarton, einen Stau wird die Welt nie wieder erleben. Können Sie sich vorstellen, wie viel Benzin das spart?
Alex B. hatte nicht geahnt, welch heißes Feuer in seinem Kollegen brannte. Er merkte, wie die Begeisterung des Mannes auf ihn überzuschwappen begann.
– Ihre gefährlichsten Momente erleben die meisten von uns heute hinterm Steuer, nicht im Schützengraben. Menschliches Versagen steckt hinter neun von zehn Unfällen. Macht viertausend Verkehrstote weniger. Pro Jahr!
– Super. B. nickte heftige Zustimmung. Aber was hat all dies mit mir zu tun?
– Das Zentrum für Luft- und Raumfahrt hat mit Ihnen zu tun, werter Kollege. Und das Institut für Verkehrssystemtechnik in Braunschweig. Das Verkehrsministerium. Der Verteidigungsminister. Nicht zu vergessen BMW und Volkswagen, Audi, Daimler, Bosch. Die deutsche Wirtschaft verlässt sich auf Sie. Begriffen? Klingelt’s?
B. schüttelte den Kopf.
– Kommen Sie! Wo leben wir denn? Im Land der Bedenkenträger, der Rechtsanwälte. Bei uns dürfen selbstfahrende Autos nicht auf öffentlichen Wegen getestet werden. Das Wiener Übereinkommen von 1968 verbietet es uns. Die USA haben es nie unterzeichnet. In Nevada und Kalifornien geschieht das seit Jahren völlig legal. Die deutschen Verkehrsbehörden aber drohen mit immer schärferer Regulierung. Hosenscheißer allesamt. Zum Glück gibt es Leute wie Sie.
B. begriff. Logo, die Entwicklung dieser Wunderautos konnte, ja durfte nur im Verborgenen stattfinden.
– Gut, das ein oder andere Malheur ist geschehen. Eis auf der Straße verwirrt die besten Infrarotsensoren, Schneeflocken foppen die Stereokameras. Kein Radarsystem mag enge Kurven. Eine Schlammpfütze reicht aus, die Sensoren erblinden zu lassen. Und ein zappeliger Dreijähriger, der sich von Muttis Hand losreißt, lässt jeden Supercomputer durchschmoren.
Wieder nickte B. eifrig. Ja, er erinnerte sich an die Nachrichten und Bilder vom ersten Crash selbstfahrender Autos. Sie hatten die Runde gemacht bei den Technikern im Haus, bei jenen, die ihre Tage mit dem Verschicken ulkiger You Tube-Filmchen füllten. Blechschäden, soweit er wusste, nichts Schlimmes.
– Kein Fortschritt ohne Opfer. Ende Februar. Eisglatte Fahrbahn. Eines der Versuchsfahrzeuge beschleunigt, schert aus, um zu überholen. Leider keine vierspurige Autobahn, sondern auf der B 275 im Taunus bei Friedberg. Der Wagen schickt noch eine Eiswarnung via Datenfunk heraus, dann prallt er bei Tempo achtzig gegen einen Mini. Zwei tote Techniker, eine tote Frau. Niemand hat davon erfahren, dass ein Computer am Steuer saß.
Erneut füllte der BSI-Mann sich den Mund mit Keksen. Am Nachmittag, notierte B. sich im Geiste, würde er seine Sekretärin schicken, um für Nachschub zu sorgen.
– Für die Autobauer der Zukunft geht es nicht darum, Autos auf den Markt zu bringen, sondern Computer auf Reifen. Mit der ein oder anderen Sitzgelegenheit. Wir eröffnen hier gerade ein Milliardengeschäft, Kollege: Der Umsatz mit intelligenter Software am Steuer wird sich in vier Jahren ver fünffachen. Fünfzig Milliarden Dollar werden für die elektronischen Helfer spendiert werden. Pro Jahr! Mit einem Schnalzen schloss der Heini seinen Vortrag. Dann setzte er hinzu:
– Wenn wir nicht heute handeln, wird das Made in Germany die Scheibenwischerblätter zuliefern, aber nicht mehr die besten Fahrzeuge der Welt.
Alex B. hatte nicht widerstehen können: Die Briefumschläge lagen auf Kante vor ihm, ein papierner Schutzwall der Ordnung. Der ihn leider nicht abzuschirmen vermochte gegen das Geschwafel dieses Lutschers.
– An der Universität Karlsruhe, Sonderforschungsbereich Kognitive Automobile, haben sie die Prototypen zusammengebastelt. Das Beste aus deutschen Ingenieurshänden und Programmierhirnen. Drei Fahrzeuge waren ein paar Wochen lang im Einsatz, in der Testphase, von morgens bis abends und in der Nacht wurden sie von ausgesuchten Einsatzteams durch die Gegend gefahren. Feldversuche. Jetzt sind es nur noch zwei Prototypen. Der dritte ist futsch, Herr Kollege.
Der Glatzkopf stand auf, wischte sich die Kekskrümel von Mund und Hose und brüllte fast:
– Mein Gott, schicken Sie jemanden! Tun Sie was! Schweden ist doch nicht der Kongo!
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In Hamburg-Eimsbüttel betraten Sven Classen, seine Frau Carla und die Töchter Mieke und Merle das Reisebüro
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