Die Engelmacherin: Kriminalroman (German Edition)
Studiums jeden Tag über den Weg. Die beiden verhöhnten Sie und damit die schwedische Gesellschaft. Letzteres war ein Zitat aus einem Interview, das Sie im Frühjahr dem Svenska Dagbladet gegeben haben.« Kjell sah John an, der nickte eifrig.
»Dieses Ereignis hat mich und meine Weltsicht tief geprägt. Es hat mir deutlich gezeigt, wie unsere Gesellschaft funktioniert und dass die Schweden bereits zu Bürgern zweiter Klasse degradiert worden sind, während die Individuen, die wir aus purer Naivität bei uns aufgenommen haben, regelrecht verhätschelt werden.«
»Interessant.« Kjell legte den Kopf schief. »Ich habe mir den Vorfall mal genauer angesehen und dabei einige Dinge entdeckt, die etwas … merkwürdig sind.«
»Was meinen Sie?«
»Erstens existiert diese Anzeige gar nicht, und zweitens gab es in Ihrem Studiengang keine afrikanischen Studenten. Als Sie in Göteborg studierten, gab es an der Universität überhaupt keine Afrikaner.«
Kjell sah, wie sich Johns Adamsapfel auf und ab bewegte.
»Sie irren sich. Ich kann mich genau erinnern.«
»Ist es nicht eher so, dass Sie Ihre Ansichten von Ihrem Elternhaus übernommen haben? Nach meinen Erkundigungen hat Ihr Vater stark mit rechtem Gedankengut sympathisiert.«
»Über die Ansichten, die mein Vater möglicherweise hatte, äußere ich mich nicht.«
Ein kurzer Blick auf die Uhr zeigte Kjell, dass nur noch fünf Minuten blieben. Sein Unbehagen verband sich mit einem Gefühl der Befriedigung. Das Interview hatte zwar nichts Konkretes ergeben, aber es war ein Vergnügen gewesen, John aus dem Gleichgewicht zu bringen. Kjell würde nicht lockerlassen. Dieses Gespräch war erst der Anfang. Er würde so lange recherchieren, bis er etwas entdeckte, was John Holm stoppte. Da er ihn dafür eventuell erneut treffen musste, konnte er das Gespräch auch mit einer Frage abrunden, die nichts mit Politik zu tun hatte. Er lächelte ihn an.
»Mir ist bekannt, dass Sie Internatsschüler auf Valö waren, als damals die Familie des Schulleiters verschwand. Man fragt sich wirklich, was dort eigentlich passiert ist.«
John warf ihm einen Blick zu und stand abrupt auf. »Das Interview ist beendet. Ich habe noch einiges zu tun. Sie finden allein nach draußen, nehme ich an.«
Sein journalistischer Instinkt hatte Kjell noch nie im Stich gelassen, und Johns Reaktion versetzte ihn in Hochspannung. John wollte irgendetwas vor ihm verbergen. Kjell konnte es kaum erwarten, wieder in die Redaktion zu kommen und mit der Recherche zu beginnen.
»Wo ist Martin?«, fragte Patrik die Kollegen in der Teeküche.
»Er hat sich krankgemeldet«, antwortete Annika ausweichend. »Sein Bericht über diese Finanz- und Versicherungsgeschichte liegt hier.«
Patrik sah sie an, fragte aber nicht weiter nach. Wenn Annika nicht freiwillig erzählte, was sie wusste, hätte man sie foltern müssen, um etwas aus ihr herauszubekommen.
»Und ich habe die alten Ermittlungsakten hier.« Gösta zeigte auf ein paar dicke Hefter.
»Das ging aber schnell«, sagte Mellberg. »Normalerweise braucht man Ewigkeiten, um in unserem Archiv so alte Unterlagen zu finden.«
Nach einer Weile sagte Gösta schließlich: »Ich hatte sie bei mir zu Hause.«
»Bewahrst du etwa Archivmaterial bei dir zu Hause auf? Bist du noch bei Trost?« Mellberg fuhr in die Höhe, und Ernst, der unter seinem Stuhl gelegen hatte, setzte sich ebenfalls auf und spitzte die Ohren. Er bellte ein paar Mal, doch nachdem er sich vergewissert hatte, dass alles ruhig war, machte er es sich wieder bequem.
»Ich habe mir den Fall hin und wieder angesehen, und da erschien es mir unnötig, dauernd ins Archiv zu rennen. Es war doch ein Glück, dass die Akten bei mir waren, sonst hätten wir sie jetzt noch gar nicht vorliegen.«
»So viel Dummheit müsste verboten …«, fuhr Mellberg fort, und Patrik sah, dass er eingreifen musste.
»Setz dich wieder hin, Bertil. Das Entscheidende ist, dass wir jetzt auf das Material Zugriff haben. Mit disziplinarischen Fragen beschäftigen wir uns später.«
Mellberg brummte etwas in seinen Bart, fügte sich jedoch widerwillig. »Haben die Techniker da draußen schon mit der Arbeit begonnen?«
Patrik nickte. »Sie reißen den Boden auf und entnehmen Proben. Torbjörn hat versprochen, sich zu melden, sobald er etwas weiß.«
»Kann mir mal jemand erklären, warum wir so viel Zeit und Arbeitskraft für einen Fall aufbringen sollen, der längst verjährt ist?«, fragte Mellberg.
Gösta sah ihn böse an.
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