Die Engelmacherin: Kriminalroman (German Edition)
mulmig zumute. Wieso stürzte er nicht auf sie zu und schloss sie in seine Arme, wie sie es sich immer erträumt hatte?
Plötzlich musste er so lachen, dass sein dicker Bauch wackelte.
»Dagmar. Genau.« Wieder lachte er. Dagmar rang die Hände.
»Wir haben eine Tochter. Laura.«
»Eine Tochter?« Er musterte sie skeptisch. »Das höre ich nicht zum ersten Mal. Man weiß ja nie. Besonders bei einer Kellnerin.«
Die letzten Worte äußerte er so verächtlich, dass Dagmar wieder zornig wurde. In diesem weißen, sterilen Zimmer, in das nie ein Streifen Tageslicht drang, gingen all ihre Träume und Hoffnungen zu Bruch. Alles, was sie über das Leben zu wissen geglaubt hatte, war gelogen; all die Jahre vergeblich, in denen sie sich vor Sehnsucht verzehrt und das unersättliche, schreiende Kind ertragen hatte. Mit gekrümmten Fingern stürzte sie sich kreischend auf ihn. Sie wollte ihm nur noch die Schmerzen, die er ihr zugefügt hatte, heimzahlen. Mit klauenartig ausgestreckten Fingern zerkratzte sie ihm das Gesicht und hörte ihn wie aus der Ferne auf Deutsch brüllen. Dann ging die Tür auf. Starke Arme packten sie und rissen sie von dem Mann weg, den sie so lange geliebt hatte.
Ihr wurde schwarz vor Augen.
W ie man ein gutes Geschäft machte, hatte er von seinem Vater gelernt. Lars-Åke »Gegenwind« Månsson war eine Legende gewesen, die Sebastian als Kind grenzenlos bewundert hatte. Den Spitznamen erhielt sein Vater, weil ihm kein Geschäft misslang und er sogar aus den misslichsten Situationen mit heiler Haut herauskam. »Lars-Åke kann gegen den Wind pinkeln, ohne nass zu werden«, hieß es.
Gegenwind war der Ansicht, dass es im Grunde ganz einfach war, andere Menschen nach der eigenen Pfeife tanzen zu lassen. Es galt dasselbe Prinzip wie beim Boxen: Man erkannte die Schwachstelle seines Gegners und griff dort so lange an, bis man als Sieger aus dem Kampf hervorging oder, wie in seinem Fall, einen kräftigen Reibach gemacht hatte. Seine Geschäftspraktiken verschafften ihm weder Beliebtheit noch Respekt, aber davon wurde auch niemand satt, wie er zu sagen pflegte.
Diese Devise hatte sich auch Sebastian zu eigen gemacht. Er wusste genau, dass er von vielen verabscheut und von noch mehr Menschen gefürchtet wurde, aber wenn er mit einem eiskalten Bier in der Hand am Pool saß, war er überzeugt, dass ihn das nicht im Geringsten kratzte. Freundschaften interessierten ihn nicht. Wer Freunde hatte, musste Kompromisse machen und einen Teil der Macht abgeben.
»Papa? Ich will mit den Jungs nach Strömstad, aber ich habe kein Geld.« Jon kam in der Badehose auf ihn zu geschlendert und sah ihn bettelnd an. Manchmal schimpfte Elisabeth mit Sebastian, weil er den Jungen und seine zwei Jahre jüngere Schwester Jossan verwöhnte, aber darüber rümpfte er nur die Nase. Eine strenge Erziehung mit Regeln und Ähnlichem war etwas für Durchschnittsbürger, aber nicht für sie. Die Kinder sollten wissen, was das Leben zu bieten hatte. Man nahm sich einfach, was man wollte. Er würde Jon noch früh genug in die Firma einführen und ihm alles beibringen, was er selbst von Gegenwind gelernt hatte, aber noch ließ er den Jungen ein wenig spielen.
»Nimm dir die Goldkarte aus meiner Brieftasche. Sie liegt im Flur.«
»Super. Danke, Papa!« Jon rannte schnell zurück ins Haus, als fürchte er, Sebastian könne seine Meinung ändern.
Als er sich die goldene Kreditkarte für die Tenniswoche in Båstad ausgeliehen hatte, war am Ende eine Rechnung über siebzigtausend Kronen zusammengekommen, aber solche lächerlichen Summen waren zu vernachlässigen, vor allem, wenn sie Jon halfen, seine Stellung unter den Mitschülern auf dem Internat Lundsberg zu behaupten. Dort hatte sich schnell herumgesprochen, dass er ein reiches Elternhaus hatte, und ihm Freunde verschafft, die irgendwann einflussreiche Posten innehaben würden.
Natürlich hatte Gegenwind ihm beigebracht, wie wichtig die richtigen Beziehungen waren. Kontakte waren viel wertvoller als Freunde, und daher hatte Gegenwind ihn sofort auf Valö angemeldet, als er die Namen einiger Schüler erfuhr. Ihn ärgerte nur, dass auch der kleine Jude, wie er ihn nannte, die Schule besuchte. Dieser Junge, der weder Geld noch eine einflussreiche Familie hatte, senkte das Niveau der Schule, doch wenn Sebastian an diese seltsame Zeit zurückdachte, wurde ihm klar, dass er Josef von allen Schülern am liebsten gemocht hatte. Josef verfügte über einen Antrieb und eine Besessenheit, die er
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