Die Engelmacherin: Kriminalroman (German Edition)
von sich selbst kannte.
Nachdem sie durch Josefs verrückte Idee wieder zusammengekommen waren, musste Sebastian zugeben, dass er bewunderte, wie entschlossen Josef sich für die Verwirklichung seines Ziels einsetzte. Dass ihre Absichten weit auseinandergingen, war unwesentlich. Es würde ein grausames Erwachen geben, aber wahrscheinlich ahnte Josef tief im Innern, dass diese Geschichte nicht gut für ihn ausgehen würde. Allerdings starb die Hoffnung zuletzt, und Josef wusste, dass er Sebastian gehorchen musste. Das mussten alle.
Die Ereignisse der letzten Zeit waren zweifellos interessant. In Windeseile hatte sich herumgesprochen, dass man draußen auf der Insel etwas gefunden hatte. Schon Ebbas Rückkehr hatte die Gerüchteküche angeheizt. Um die alte Geschichte wieder aufzuwärmen, war jedes Mittel recht. Und nun mischte sich auch noch die Polizei ein.
Nachdenklich drehte Sebastian sein Glas und drückte es an seine Brust, um sich abzukühlen. Er fragte sich, was die anderen dachten. Hatten sie auch Besuch bekommen? Draußen in der Einfahrt hörte er den Porsche anspringen. Der Rotzbengel hatte sich also den Autoschlüssel geschnappt, der neben der Brieftasche lag. Er lächelte. Der Junge war ganz nach seinem Geschmack. Gegenwind wäre stolz auf ihn gewesen.
Seit sie Valö gestern verlassen hatte, dachte sie über verschiedene Einrichtungsideen nach, und heute Morgen war sie nahezu aus dem Bett gesprungen. Dan hatte über ihren Tatendrang gelacht, aber sie sah ihm an, wie sehr er sich für sie freute.
Es würde noch viel Zeit vergehen, bis es wirklich losging, aber Anna konnte es kaum erwarten. Irgendetwas an dem Haus zog sie magisch an. Vielleicht lag es daran, dass Mårten so aufgeschlossen und begeistert auf ihre Vorschläge reagiert hatte. Er hatte sie fast bewundernd angeblickt, und sie war sich zum ersten Mal seit langem wie eine interessante und kompetente Person vorgekommen. Als sie anrief, um zu fragen, ob sie noch einmal wiederkommen dürfe, um zu fotografieren und auszumessen, hatte er gesagt, sie sei mehr als willkommen.
Als Anna oben in Ebbas und Mårtens Schlafzimmer den Abstand zwischen den Fenstern vermaß, musste sie sich eingestehen, dass sie ihn vermisste. Es herrschte eine andere Stimmung im Haus, wenn er nicht da war. Sie sah Ebba an, die gerade den Türrahmen lackierte.
»Fühlt man sich nicht einsam hier?«
»Ach, ich finde die Ruhe ganz angenehm.«
Die Antwort klang eher widerwillig, und die anschließende Stille im Raum war so bedrückend, dass Anna sich gezwungen sah, noch etwas zu sagen.
»Hast du Kontakt mit jemandem aus deiner Familie? Deiner biologischen Familie, meine ich?« Am liebsten hätte sie sich auf die Zunge gebissen. Womöglich fand Ebba die Frage unverschämt und zog sich noch mehr zurück.
»Es ist niemand mehr übrig.«
»Hast du denn Familienforschung betrieben? Du musst dich doch fragen, wie deine Eltern waren.«
»Bis jetzt nicht.« Ebba hielt mitten in der Bewegung inne. »Aber seit ich hier bin, mache ich mir natürlich Gedanken.«
»Erica hat eine Menge Material gesammelt.«
»Das hat sie mir erzählt. Ich wollte sie demnächst besuchen und mir alles ansehen, aber ich bin noch nicht dazu gekommen. Man fühlt sich hier so sicher. Irgendwie hänge ich auf der Insel fest.«
»Vorhin habe ich Mårten getroffen. Er war auf dem Weg in den Ort.«
Ebba nickte. »Ja, er fährt dauernd hin und her, um einzukaufen, die Post zu holen und alle anderen Dinge zu erledigen. Ich versuche ja, mich am Riemen zu reißen, aber …«
Beinahe hätte Anna nach dem Kind gefragt, das Ebba und Mårten verloren hatten, aber sie konnte sich nicht überwinden. Noch war ihre eigene Trauer zu groß, um mit anderen über einen solchen Verlust zu sprechen. Andererseits war sie neugierig. Soweit sie gesehen hatte, gab es im Haus nichts, was an ein Kind erinnerte. Kein Foto und kein einziger Gegenstand deuteten darauf hin, dass die beiden einmal Eltern gewesen waren. Nur an ihren Augen konnte Anna es erkennen. Dieser Blick begegnete ihr jeden Tag im Spiegel.
»Erica versucht herauszufinden, wo die Sachen abgeblieben sind. Vielleicht sind noch ein paar persönliche Dinge darunter.« Sie legte den Zollstock auf den Fußboden.
»Ich finde es auch merkwürdig, dass einfach nichts mehr da ist. Wenn sie hier gewohnt haben, müssen sie doch alles Mögliche besessen haben. Ich würde mich zum Beispiel freuen, wenn ich noch etwas aus meiner Kindheit finden würde. Kleidungsstücke oder
Weitere Kostenlose Bücher