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Die englische Episode

Die englische Episode

Titel: Die englische Episode Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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löschen, war in London immer noch Leben auf den Straßen, umso mehr, je näher sie Covent Garden kamen. Die Luft unter der nahezu lückenlosen Wolkendecke war mild, aus den allenthalben offen stehenden Türen der Schenken, Gasthäuser und zahllosen Ginkeller drangen Stimmen und Gelächter, manchmal auch trunkener Gesang oder der Klang einer Fidel.
    Rosina blieb unter einem Schild mit der Aufschrift
Clifton’s Chop House
stehen und schnupperte selig den Geruch von gebratenem Fleisch und gerösteten Zwiebeln.
    «Kommt zurück, Wagner», rief sie dem unbeirrt weitermarschierenden Weddemeister nach. «Ich bin fast verhungert, wenn ich nicht sofort etwas esse, müsst Ihr mich bis zur Henrietta Street tragen.»
    Muto war völlig ihrer Meinung. Er steckte seinen Kopf durch das halb geöffnete Fenster neben der Tür und bedeutete Rosina, sie habe eine gute Wahl getroffen. Wagner zögerte. Als er jedoch sah, dass dies keine der feinenTavernen, sondern ein schlichtes Kotelette-Haus war, stapfte er schnurstracks hinein. Nicht nur Rosina war hungrig.
    In dem schmalen Raum, nur spärlich beleuchtet und dunstig vom Qualm der Tabakspfeifen, standen die Tische mit ihren einfachen Bänken in zwei langen Reihen. Sie waren noch gut von munter schwatzenden Männern und Frauen besetzt, die Fleischportionen auf einigen Tellern verhießen, den knurrendsten Magen zu besänftigen. Erst am Ende der zweiten Reihe fanden sie eine Lücke, groß genug, um sich ungestört zu unterhalten. Rosina hatte tatsächlich großen Hunger, seit ihrer letzten Mahlzeit waren viele Stunden vergangen, vor allem aber plagte sie heftige Neugier.
    Den ganzen Weg von der Ave Maria Lane war Wagner schweigend, die Fäuste tief in den Rocktaschen, vor ihr und Muto hergestapft. Sie kannte ihn lange und gut genug, um zu erkennen, dass in seinem Kopf etwas arbeitete, das sie unbedingt wissen wollte. In der Henrietta Street angekommen, würde er sofort in seinem und Karlas Zimmer verschwinden, und sie dachte nicht daran, die erste Hälfte der Nacht zu grübeln, nur um in der zweiten wieder seltsamen Träumen von ungelösten Rätseln zu begegnen.
    Sie bestellten am Schanktisch Rindfleisch, Brot und Bier – etwas anderes gab es in diesen Häusern nicht   –, und kaum dass sie auf der Bank saßen, standen schon drei bis an den Rand gefüllte Krüge vor ihnen. Das Bier war stark gewürzt und so köstlich, das Wagner seinen Krug im ersten Zug beinahe leerte. Er lehnte sich zurück an die Wand, gönnte sich einen behaglichen Rülpser, faltete die Hände wohlig vor dem Bauch und sagte: «Nun ja.»
    «Was heißt ‹nun ja›?» Rosina wischte sich einen Bierrest von der Oberlippe. «Ein bisschen mehr könntet Ihr uns schon anvertrauen. Warum seid Ihr wieder so eine Auster?»
    «Nun ja», wiederholte Wagner; hätte Rosina ihn nicht besser gekannt, hätte sie vermutet, er genieße ihre Ungeduld. «Das war ein sehr interessanter Abend», fuhr er fort. «Auch wenn nicht gewiss ist, ob man Hebbel alles glauben kann, was er erzählt hat, war es doch interessant.»
    Muto grinste und Rosina versuchte sich in Geduld. «Ich verstehe Euch nicht. Ihr macht diese weite Reise, um Kloths Mörder zu suchen, und Ihr habt gedacht, der sei Bendix Hebbel. Nun wisst Ihr, dass er es nicht war, Muto hat es uns bewiesen. Dennoch seht Ihr vollkommen zufrieden aus. Ihr müsstet enttäuscht sein. Es sei denn», der Wirt brachte drei Teller, jeder bis an den Rand mit einer gewaltigen Fleischscheibe gefüllt, und schob sie auf den Tisch, er holte Messer und Gabel aus der Tasche seiner nicht mehr ganz reinlichen Schürze, legte sie daneben und verschwand mit einem gemurmelten Gruß wieder in seiner Küche, «es sei denn», fuhr Rosina nun etwas leiser fort, «mein Verdacht ist richtig: Wagner, Ihr habt gelogen. Es geht nicht um den Mord in der Druckerei, jedenfalls nicht nur, es geht – mal wieder – um etwas anderes, und das will ich endlich wissen. Und warum habt Ihr Euch von Hebbel so genau das Drucken zeigen lassen? Ihr hattet ganz anderes im Kopf, ich hab’s genau gesehen. Und sagt nicht wieder ‹nun ja›, sondern erzählt.»
    Wagner stach mit der Messerspitze in seine Fleischportion, nickte zufrieden und schnitt ein ordentliches Stück davon ab.
    «Wenn Ihr erlaubt», sagte er, schon genüsslich kauend, «nach den ersten beiden Bissen.»
    Dann begann er endlich zu erzählen.
    Bendix Hebbel hatte ihn in der Tat nicht besonders interessiert. Wohl war es nahe liegend, ihn zu verdächtigen,

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