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Die englische Episode

Die englische Episode

Titel: Die englische Episode Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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einem Jahr im
Neuen Lloyd’s Kaffeehaus
, nur wenige Schritte entfernt in der Pope’s Head Alley.
    Da stand er nun und seufzte schwer, als ihm ein Schild über einer Seitentür des Hauses Nummer fünf bekannt gab, dass er endlich am richtigen Ort war. Wieder musste er eine Treppe hinaufsteigen, Pfeifenrauch und Essensdünste schlugen ihm entgegen, als ob es oben keine Fenster gebe, er hörte gedämpfte Stimmen, die von einer sonoren nur kurz übertönt wurden. Schon bevor er den Raum betrat, war er wieder eine staubige Maus.
    War das erste Kaffeehaus beinahe licht gewesen, geräumig zwischen den langen Tischen und Bänken, den Nischen für diskrete Geschäfte, erschienen ihm diese Räume eng, stickig und düster. Nach der Börsenzeit würden sich hier die Männer wie auf einem Jahrmarkt drängen, Kaufleute, Börsenmakler wie Schiffseigner, neugierige Müßiggänger, Bildungsreisende, Assekurateure wie Schiffsoffiziere, Zeitungsschreiber, begierig nach echtenund falschen Neuigkeiten. Auch Männer niedrigen Standes, die in den Listen auf Nachrichten über die Schiffe ihrer Brüder, Väter oder Nachbarn hofften.
    Nun waren noch etliche Tische unbesetzt, einige Gäste schlenderten scheinbar ziellos herum, sprachen mit diesem und jenem, andere verschwanden in Seitennischen, wo Tinte und Papier bereitstanden, wieder andere lasen ihre Post, die sie sich in die Pope’s Head Alley schicken ließen, weil Lloyd’s Verbindungen in die ganze Welt, aber auch innerhalb der Londoner Stadtteile sie viel schneller beförderten als das langsame Postsystem in Stadt und Land.
    Wagner drückte sich auf einen freien Stuhl nahe dem Schanktisch. Niemand beachtete ihn, was er sehr angenehm fand. Die Maus in ihm konnte in Ruhe wachsen. Bei einem adretten Mädchen mit makellos weißer Schürze bestellte er tapfer ein Glas Port und fragte, wo er die Schiffsmeldungen fände.
    «Dort drüben», sagte sie und zeigte auf ein Stehpult, das von einer Traube von Männern umlagert wurde. «Wartet am besten noch ein wenig. Um diese Stunde werden die meisten neuen Eintragungen gemacht, und dann ist der Andrang besonders groß.»
    Mit jedem Nippen an dem schweren süßen Wein fand Wagner zu seiner gewohnten Ruhe zurück. Er lehnte sich zurück, und während der Raum sich langsam füllte, machte er sein harmloses, ein wenig stupides Gesicht, das niemanden ahnen ließ, wie genau er auf die Gespräche an den Nachbartischen lauschte.
    Die beiden Männer zu seiner Linken schlossen gerade einen wohlwollenden Austausch über einen gewissen Mr.   Bruce ab, ein Forschungsreisender, der nach Jahren in derLevante nun in Ostafrika die Quelle des Nils suchte, und vertieften sich in eine Debatte um einen Captain namens Cook. Der hatte sich als Vermesser und Kartograph von Neufundland und dem St.-Lorenz-Strom unbestrittene Meriten erworben und befehligte nun, obwohl nach einem Unfall an der rechten Hand verkrüppelt, eine Südsee-Expedition. Mit einer Hand voll Wissenschaftlern sei er schon seit zwei Jahren auf einer barkgetakelten Cat unterwegs, die letztlich nichts als ein umgebautes flaches Kohlenschiff war. Um die Passage der Venus vor der Sonne zu beobachten, erfuhr Wagner, wobei er nicht sicher war, ob er richtig gehört hatte, weil ihm eine so aufwendige Fahrt für die schlichte Beobachtung eines Gestirns verschwenderisch vorkam. Den eigentlichen Grund dieser Reise um die Welt, den einer der Männer dem anderen nun mit gesenkter Stimme anvertraute, fand er einleuchtender.
    «Tatsächlich», sagte der Mann, ein Herr unbestimmten Alters mit einer strengen braunen Perücke und einem alten Siegelring auf dem linken Mittelfinger, «hat Cook einen viel delikateren Auftrag.» Er hob seinen Dreispitz vor den Mund, doch seine knarrende Stimme blieb unüberhörbar: «
Terra australis incognita
, wenn Ihr versteht, was ich meine. Er ist auf der Suche nach dem Südkontinent, glaubt mir, ein streng geheimes Unternehmen. Die Spanier, Franzosen und Portugiesen dürfen nicht aufgeschreckt werden, nicht mal die Niederländer. Wer zuerst da ist, dem gehört eben die neue Kolonie. Es wäre ja zu wünschen», der Dreispitz landete wieder auf dem Tisch, «ein zweites Ostindien zu finden, aber ich weiß nicht, nur weil ein Italiener, dieser Marco Polo, davon in seinen fragwürdigen Schriften gefaselt hat, muss es nicht stimmen.Silberne Ströme, fruchtbarer Boden, Papageien und Gazellen – ist ja alles ganz nett, aber war nicht zuverlässig, der Mann, und ist auch schon ziemlich

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