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Die englische Episode

Die englische Episode

Titel: Die englische Episode Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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Anstrengung seiner Gedanken, kam er nicht voran.
    In London war alles anders. Wenn der Dialekt nicht gar zu grob war, verstand er zwar, was die meisten Menschen sprachen, doch nicht gut, und oft erst recht nicht, was sie tatsächlich meinten. Jede Antwort, jedes Gespräch ließ ihn unsicher zurück. Auch lachten sie hier über andere Dinge, und wenn sie spotteten, begriff er esnicht. Diese neue Manie, fremde Länder zu bereisen, wenigstens darin war er mit dem Senator einig, würde ihm ewig ein Rätsel bleiben. Es deprimierte ihn tief, dass er sich Karla gerade zum Beginn ihrer Ehe nicht als der erfahrene selbstbewusste Mann zeigte, der er für sie sein wollte. Er musste sich einfach mehr Mühe geben. Für Karla und für seine Selbstachtung. Und für seinen Senator (was ihm in diesen Tagen allerdings vor lauter Groll am schwersten fiel).
    Es war schändlich, dass er sich so lange darum herumgedrückt hatte, dieses Kaffeehaus aufzusuchen, und wer weiß, ob er sich heute dazu durchgerungen hätte, wenn Mrs.   Tottle nicht gewesen wäre. Da sie annahm, seine Streifzüge durch die Stadt seien die eines müßigen Reisenden, hatte sie ihn heute Morgen gebeten, ob er
womöglich
und falls er
zufällig
bei dem Kaffeehaus vorbeikomme, in dem die Schiffsmeldungen auslägen, einen Blick auf die Listen werfen könne. In diesem Buch konnte jedermann, gemeine wie vornehme Leute, Nachrichten notieren, politische, wirtschaftliche und Schiffsereignisse aus aller Welt, auf die Entrepreneure stets und dringend warteten, und vielleicht sei dort auch eine Nachricht über die
Bristol Belle
notiert.
    Selbst nach achtzehnjähriger Ehe hatte Mrs.   Tottle die erste Tugend einer Seemannfrau noch nicht gelernt: monatelanges zuversichtliches Warten. Mr.   Tottle sei nun schon
sehr
lange weg, es wäre ihr eine große Erleichterung zu hören, ob seine Bark schon gesichtet und gemeldet sei. Bei
Lloyd’s
, erklärte sie ihm, liefen alle Nachrichten über Schiffe, Abfahrten und Anlandungen zusammen. Auch über Unglücke, egal ob Havarie, Kaperei oder Untergang.
    Selbst Börsennotierungen, Preise verschiedener Lotterien und auch Namen und Heimatorte der Passagiere wie ihr Abfahrtshafen konnten in dem Kaffeehaus in langen Listen überprüft werden. Man lasse sogar eine eigene Zeitung für derlei Dinge und Nachrichten aus der ganzen Welt für den Handel drucken, sogar mehrmals die Woche. Es heiße, selbst der König, das Parlament und die Admiralität erführen daraus schneller und mehr als von ihren eigenen Agenten.
    Von New York, erklärte Mrs.   Tottle eifrig, brauche eine Nachricht zwar etwa zwei Monate, aber von Lissabon nur acht Tage und von Bristol zwei. Es sei gut möglich, dass Mr.   Tottles Schiff, die
Bristol Belle
, dort nach einer kleinen Havarie im Dock liege, eine Reparatur sei immer mal nötig und wäre doch viel besser als ein Untergang. Oder gar eine Begegnung mit einem Kaperer. So viele Schiffe verschwänden auf Nimmerwiedersehen von den Meeren – wenn sie nur Nachricht bekäme, gute oder schlechte. Selbst verlorene Hoffnungen seien ihr erträglicher als diese quälende Ungewissheit.
    Dabei wischte sie eine Träne von der linken Wange und Wagner machte sich umgehend auf den Weg.
    Weder Mrs.   Tottle noch Rosina oder den anderen Mitgliedern der Becker’schen Gesellschaft war aufgefallen, dass er nicht nach der Adresse fragte.
    Leider hatte der Senator ihm die falsche gegeben. So stieg er in der Lombard Street nahe der Poststation die Treppe zu
Lloyd’s Kaffeehaus
im ersten Stock hinauf. Es kostete ihn fast eine Stunde und zwei Tassen sehr teuren Kaffees, bis er begriff, dass es hier weder ehrbare Kaufleute noch Schiffsmeldungen gab. Das einst renommierte, unter Händlern und Reedern in ganz Europa bekannteHaus war nur noch Treffpunkt für das, was er ‹zweifelhafte Elemente› nannte, wenn einige unter ihnen auch noch so teuer gekleidet waren. Hier wurde gegessen und getrunken, räsoniert und hoch gespielt, doch vor allem ging es um Wetten, nicht weniger dubios als die Männer, die sie anboten und abschlossen. Allerdings fühlte sich Wagner unter ihnen viel weniger wie eine staubige Maus als bei Jensen.
    Als er einem von ihnen endlich klar gemacht hatte, dass er weder auf die Rückkehr der Pest, die Entdeckung der Nordwestpassage noch auf den Geisteszustand von Lord William Byron wetten wolle (wer immer der sein mochte), verriet der Mann ihm schließlich, wo Wagner die Schiffsmeldungen nun finde, nämlich schon seit mehr als

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