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Die englische Episode

Die englische Episode

Titel: Die englische Episode Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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dieser Gegend ohne Zofe und Kutscher?»
    «Warum nicht?» Florence’ Stimme ließ ahnen, wie viel es ihre Gouvernanten gekostet hatte, das Kind zu einer Dame zurechtzustutzen. Sie fasste ihren Sonnenschirm wie einen Degen, blickte auf ihre festen Schuhe und fuhr fort: «Wenn es Euch unangenehm ist   …»
    «Überhaupt nicht, ich war schon zu ungewöhnlicheren Zeiten hier. Woher wisst Ihr überhaupt, wo ich wohne? Habt Ihr Madame Augusta gefragt?»
    «Das war nicht nötig. Am Morgen nach der Soiree hat sie meiner Mutter und mir erzählt, wer Ihr seid, auch dass Ihr in der Henrietta Street wohnt. Da ich nicht wusste, in welchem Haus, habe ein wenig herumgefragt und Glück gehabt. Ich musste keine halbe Stunde suchen.»
    «Das war wirklich Glück. Die Straße ist nicht lang, aber sie erscheint mir mit ihren großen Häusern wie einBienenstock. War Eure Mutter von Madame Augustas Geständnis schockiert?»
    «Aber nein, sie hat nur schrecklich bedauert, es nicht vorher gewusst zu haben. Sie hofft schon auf Euren nächsten Besuch, denn sie findet Euch äußerst interessant. Noch exotischer als die Löwen im Tower.»
    «Das ist ein reizendes Kompliment.»
    Endlich schlich sich ein Lächeln in Florence’ Gesicht. «Verzeiht, so habe ich es nicht gemeint. Ich liebe meine Mutter, aber ihre Allüren sind manchmal ein wenig töricht. Seid froh, dass sie es nicht wusste, sie hätte Euch der ganzen Gesellschaft präsentiert wie das beste Stück aus einem Kuriositätenkabinett. Nun ja», murmelte sie, «Mamas Soireen geraten oft selbst zu einem. Zudem», fuhr sie trotzig fort, «muss ich gestehen, dass ich gelauscht habe. Ich habe gehört, wie Mr.   Bach Euch zuflüsterte, was ihm sein Bruder von Euch geschrieben hatte. Verstanden habe ich es aber erst, als Mrs.   Kjellerup von Eurer Profession erzählte. Und von Eurem ungewöhnlichen Steckenpferd. Ach, es ist ganz unmöglich.
Ich
bin unmöglich. Ich wollte Euch um Hilfe bitten, aber das war dumm. Vergesst es einfach.» Sie spannte ihren Schirm auf, zupfte heftig an seinen Rüschen und fiel in die Sprache der Salons zurück: «Meine Mutter und ich würden uns sehr freuen, Euch bald wieder in unserem Haus begrüßen zu dürfen. Vielleicht zur Teestunde oder zu einem Frühstück. Ganz wie es Euch beliebt.»
    «Nein, Lady Wickenham.» Rosina schüttelte so entschieden wie amüsiert den Kopf. «So einfach werdet Ihr mich nicht wieder los. Wir setzen uns jetzt auf eine Bank, am besten dort an der Mauer bei dem struppigen Fliederbusch, wo uns niemand belauscht, und Ihr erzählt mir,wie ausgerechnet ich Euch helfen könnte. Ihr habt mich ungemein neugierig gemacht. Das ist ein Zustand, den ich sehr angenehm finde, wenn ihn zu zeigen auch auf eine lückenhafte Erziehung schließen lässt.»
    Die Schatten der Linden waren schon ein beachtliches Stück weiter gewandert, da saßen die Lady und die Wanderkomödiantin immer noch einträchtig nebeneinander auf der Bank. Florence hatte nicht nur ihr seltsames Anliegen erläutert. Sie hatte zwar nur kurze Zeit und wenig Mühe gebraucht, Rosina dafür zu gewinnen, doch da waren auch noch die vielen Fragen gewesen, die sie selbst über das Leben auf dem Theater hatte. Als Rosina endlich den Glanz in ihren Augen bemerkte, war es schon zu spät, ihr Wanderleben in möglichst düsteren Farben zu schildern.
    «Ihr seid frei», seufzte Florence, «völlig frei. Das muss herrlich sein.»
    «Einerseits», sagte Rosina, die absolut Florence’ Meinung war, «andererseits ist Freiheit oft ein kalter Ort. Sie bedeutet auch die Freiheit zu verhungern. Oder sich als fahrendes Lumpenpack beschimpfen zu lassen. Niemand aus der Welt meiner Kindheit würde mich noch als eine der Ihren achten. Und», sie hob ihre kräftigen Hände, «es ist harte Arbeit. Nicht nur auf der Bühne, das ist tatsächlich vor allem Vergnügen, jedenfalls wenn es uns gelingt, das Publikum zu amüsieren, im anderen Fall können die Leute im Parkett ziemlich grob werden. Aber ich habe mir dieses Leben selbst ausgesucht und bin es zufrieden. Es war großes Glück, dass ich gerade die Becker’sche Gesellschaft und nicht irgendeine üble Bande traf, als ich dumm und hungrig über die Straßen irrte. Doch bei jedem Wetter durch das Land zu ziehen, Reisekörbe undKulissen zu schleppen, die Bühne aufzubauen, ganz ohne Knecht, Köchin oder Zofe – da gibt es auch Momente, in denen ich auf alle Freiheit pfeife.»
    «Daran habe ich nicht gedacht», Florence senkte beschämt den Kopf. «Ich

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