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Die englische Ketzerin: Roman (German Edition)

Die englische Ketzerin: Roman (German Edition)

Titel: Die englische Ketzerin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brenda Vantrease
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atmete sie tief die salzige Seeluft ein, in die sich der Geruch von Leinöl und altem Holz mischte. Endor sah sie erwartungsvoll an. Das gedämpfte Geräusch des Wassers, das gegen den Bauch des Schiffes klatschte, machte die Stille nur allzu deutlich.
    »Wir haben jetzt etwas gemeinsam, Endor«, sagte sie leise. »Ich habe auch ein Kind verloren.«
    Endor streckte ihre Hände über den Tisch und legte sie auf ihre. Es waren raue, starke und tröstliche Hände.
    »Es hat mir großen Kummer bereitet«, sagte Kate und versuchte zu verhindern, dass ihre Stimme brach.
    Endor nickte und schloss die Augen, dann schüttelte sie leicht den Kopf, so als versuche sie die Erinnerung loszuwerden.
    Kate zog ihre Hand zurück und nahm den Becher, um einen kleinen Schluck zu trinken. Das Wasser war klar und kühl, der Becher fast bis zum Rand gefüllt. Sie sah ihre Augen, die sich darin spiegelten, als sie ihn an die Lippen hob. Nein, es gab keinen anderen Weg. Sie musste Endor fragen.
    »Ist es das, was Ihr im Wasser gesehen habt, Endor? Habt Ihr gesehen, dass ich mein Kind verlieren werde?«
    Endors Augen weiteten sich, sie kniff die Lippen zusammen. Sie nahm ihre Hände vom Tisch und rutschte noch näher an die Kante des Stuhls, bereit, jederzeit zu fliehen. Kate erinnerte sich daran, wie aufgeregt sie gewesen war, als sie damals in die Zukunft gesehen hatte. Sie sollte sie nicht bitten, es noch einmal zu tun. Das wäre eine Sünde, ein dunkler Fleck nicht nur auf ihrer eigenen, sondern auch auf Endors Seele. Außerdem war es streng verboten. Ebenso wie der Handel mit englischen Bibeln wurde dieses Vergehen mit dem Tod auf dem Scheiterhaufen bestraft. Eine Hexe sollst du nicht am Leben lassen, das stand schon in der Bibel. Aber Endor war doch keine Hexe. Sie hatte nur eine Gabe. Vielleicht war es sogar Gott selbst gewesen, der ihr diese Gabe verliehen hatte. Schließlich hatte Endor absolut nichts Böses an sich.
    Kate stellte den Becher in die Mitte des Tisches.
    »Werde ich noch einmal ein Kind bekommen?«, flüsterte sie.
    Endor rührte sich nicht. Diesmal war es Kate, die aufstand und sich erregt abwandte. Sie hätte das nicht fragen dürfen. Sie hatte es sich doch so fest vorgenommen, es nicht zu tun. Aber die Worte waren ihr einfach so herausgerutscht. »Es tut mir leid. Ich hatte kein Recht …«
    Ein Zupfen an ihrem Ärmel veranlasste sie, sich wieder zu setzen. Endor nickte, legte ihre Hände um den Becher und zog ihn zu sich heran. Sie starrte ins Wasser. Kate hielt den Atem an, aber Endor schüttelte nur leicht den Kopf. Dann schloss sie die Augen, öffnete sie wieder und starrte, ohne zu blinzeln, wieder in den Becher. Ihr Gesicht war starr vor Konzentration. Kate war sich nicht bewusst, dass auch sie nicht mehr blinzelte, bis ihre Augen zu brennen und zu tränen begannen. Endor lächelte, ihr kleines, spitzes Kinn bewegte sich rasch auf und ab, als sie nickte. Sie hielt einen Finger hoch.
    »Ein Kind«, sagte Kate und konnte kaum noch atmen. »Ihr habt ein Kind gesehen.«
    Endor nickte und deutete erst mit zwei Fingern auf ihre Augen, dann auf das Bullauge und schließlich wieder auf ihre Augen.
    Kate schüttelte den Kopf.
    »Ich verstehe nicht.«
    Endor deutete wieder auf ihre Augen.
    »Mein Kind wird … Augen haben …«
    Endor zeigte auf die Karte, die neben dem Wasserfässchen an der Wand hing. Es war eine blaue Weltkarte.
    »Mein Kind wird … blaue Augen haben!«
    Wieder bewegte sich das spitze kleine Kinn auf und ab. »Aber John hat braune Augen, und meine sind grün … wie … ach, was spielt das schon für eine Rolle? Es ist mir egal, und wenn das Kind purpurrote Augen hätte. Danke, Endor. Vielen Dank«, sagte sie und drückte die Frau an sich.
    Endor nickte und zuckte mit den Schultern, so als wolle sie sagen: »Keine Ursache«.
    Später lag Endor noch lange wach und betrachtete den mit Sternen übersäten, samtigen Himmel, der durch ihre halb geöffnete Tür zu sehen war. Sie lauschte dabei auf die nächtlichen Geräusche: dem Scharren der Ankertaue gegen den Rumpf, dem Knarren der Planken, dem Lachen der Männer, die Nachtwache hatten und sich die Zeit mit einem Würfelspiel vertrieben. Aber nicht die vertrauten Geräusche hielten sie vom Einschlafen ab, sondern ihr schlechtes Gewissen. Seit dem letzten Mal, als der Kapitän sie gebeten hatte, in die Schüssel zu sehen, hatte sie darum gebetet, Gott möge ihr die Gabe des zweiten Gesichts nehmen, denn sie brachte ihr nur Kummer. Da sie nicht darauf

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